Dienstag, 22. Oktober 2013

Am Quell der Bürokratie.

aus NZZ, 22. 10. 2013                                                                                  Frank Lloyd Wright, Larkin Administration Building

Dialektik der Rationalisierung
Eine Tagung zur Geschichte des Büros

von Urs Hafner · Neigt sich die Ära des Büros, wie wir es kennen, dem Ende zu? Einiges spricht dafür. Die tonangebenden Firmen der Internetbranche machen aus dem Arbeitsplatz ein zweites Daheim, damit der Angestellte sich völlig mit seiner Firma identifiziere. Banken, Versicherungen und bundesnahe Betriebe wiederum heben aus Kostengründen die fixen Arbeitsplätze auf. Die Angestellten lassen sich im Grossraumbüro nieder, wo gerade Plätze frei sind, oder arbeiten auf ihren mobilen Geräten unterwegs und daheim.

Disziplinierung und Demokratisierung

Das moderne Büro entstand am Ende des 19. Jahrhunderts als Resultat und Motor der westlichen Rationalisierung und Bürokratisierung, wie eine zweitägige Konferenz deutlich machte, die letzte Woche in Bern im Schweizerischen Bundesarchiv stattfand (von diesem und dem Institut für populäre Kulturen der Universität Zürich organisiert). Das Kontor und die Kanzlei vereinigend, trennte das Büro für Männer und unverheiratete Frauen nun deutlich den Lebensraum vom Arbeitsort. Mit dem Taylorismus, der die Arbeitsabläufe wissenschaftlich optimierte, kam - zuerst in den progressiven Vereinigten Staaten - der «Bürosaal» auf. In fabrikähnlichen Räumen füllten Hunderte von Bürolistinnen und Beamten, unablässig auf ihre Schreibmaschinen hämmernd, Formulare aus und erledigten Korrespondenzen.


Adriana Kapsreiter (Berlin) malte die streng gerasterten Säle, in denen ein ohrenbetäubender Lärm geherrscht haben müsse, als Orte der totalen Disziplinierung und Überwachung aus, wo Menschen maschinengleich an «Taylor-Schreibtischen» arbeiteten, die jede überflüssige Bewegung und die Ablage unnützer Gegenstände verhinderten. Fast wie der Aufseher in Jeremy Benthams berüchtigtem «Panopticon» hatte der Vorsteher in seinem gläsernen Einzelbüro die Untergebenen, die keine Pause machen durften, permanent im Blick. Mit dieser Szenerie kontrastierte Kapsreiter die Ende der 1950er Jahre aufkommenden «Bürolandschaften», die einen deutlich freundlicheren Eindruck machen. Nun waren die Arbeitsplätze nicht mehr schematisch, sondern wie zufällig, gleichsam organisch angeordnet; zwischen den Tischen standen Blumenkisten und Stellwände, die vor Geräuschen schützten, eine Pausenecke lud mit Kissen zum Kaffee. Ob man freilich daraus eine Humanisierung der Arbeitswelt ablesen kann, wie dies die Referentin tat? Ihre Bilder schienen diese Entwicklung nahezulegen, doch sie sind, was sie nicht bedachte, fotografische Inszenierungen. Was in den Grossraumbüros tatsächlich geschah, verraten sie wohl kaum.


Dass die Rationalisierung der Arbeitswelt eine dialektische Sache ist, ging aus dem Vortrag von Christine Schnaithmann (Berlin) hervor. Sie stellte das nach Frank Lloyd Wrights Entwürfen 1906 in Buffalo erbaute Larkin-Gebäude vor, das die Büros der gleichnamigen Seifenfabrik beherbergte. Es wartete unter anderem mit einer Klimaanlage, möglichst einfach zu reinigenden Möbeln und neuartigen Toilettenschüsseln auf. Auch dieses Gebäude sei auf Effizienzsteigerung der Arbeitenden getrimmt gewesen, aber diese sollten sich zugleich wohl fühlen, betonte Schnaithmann. Ob sein Gebäude als schön galt oder nicht, sei für Frank Lloyd Wright zweitrangig gewesen; es habe vor allem «leben» müssen.

Auch in den Ausführungen Jens van de Maeles (Gent) zur Reform der belgischen Verwaltung in der Zwischenkriegszeit stach die Vielschichtigkeit der Rationalisierung hervor, wie sie schon Max Weber soziologisch beschrieben hat. In den monumentalen «perfekten Gebäuden», die Grossraumbüros und mehr Toiletten, Licht und Luft vorsahen (die aber aus finanziellen Gründen nie gebaut wurden), sollten die Angestellten effizienter arbeiten, zugleich aber die Vorgesetzten ihre räumlichen Privilegien verlieren und die Bürger Einblick in eine transparente Verwaltung gewinnen. Rationalisierung bedeutete hier neben Disziplinierung auch Demokratisierung.

Larkin Administration Building was designed in 1904 by Frank Lloyd Wright for the Larkin Soap Company of Buffalo, New York, at 680 Seneca Street

Die legendären USM-Büromöbel

Wie eine mit Demokratisierungsvorstellungen einhergehende Design-Innovation am Ende den Distinktionsbedürfnissen des Kaders zugutegekommen sei, legte Bernd Kulawik (Zürich) in seiner witzigen Hommage an die berühmten, 1965 auf den Markt gebrachten Schweizer USM-Büromöbel und deren Miterfinder Fritz Haller dar. Auch die schier unendlich kombinierbaren Module, deren Herzstück eine Messingkugel ist, sollten die Arbeitswelt flexibler, effizienter und demokratischer machen. Für die Sekretärin war der gleiche schlichte Tisch vorgesehen wie für den Chef. Doch heute sind USM-Möbel, wie die Werbekampagne glauben machen möchte, ein Statussymbol. Immerhin nicht mehr nur für Männer.



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