Sonntag, 17. November 2013

Das evangelische Pfarrhaus.

aus NZZ, 6. 11. 2013

Öffentliches Leben
Das evangelische Pfarrhaus in einer kulturgeschichtlichen Ausstellung in Berlin

von Cord Aschenbrenner 

Das evangelische Pfarrhaus wird von Mythen umrankt. Eine kulturgeschichtliche Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin eröffnet interessante Einblicke in das Innere eines «gläsernen Hauses». 

Lässt sich ein Mythos ausstellen? - Wohl kaum. Jedenfalls nicht so, dass alle seine Geheimnisse gelüftet würden. Sehr nahe kommen kann man ihm aber schon. Mit diesem Gefühl verlässt man eine überaus gelungene Ausstellung zur Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses, die das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt. Inmitten der in grossen Teilen bekennend neuheidnischen deutschen Hauptstadt versuchen die Ausstellungsmacher, das «Leben nach Luther», wie der leicht mysteriöse Titel der Schau lautet, darzustellen. «Ein bisschen tricky» sei der, gibt der Kurator Bodo-Michael Baumunk zu, nämlich gewissermassen eine Anspielung auf den Luther-Hype des 19. Jahrhunderts, der den «deutschen» Reformator auch als Begründer des «deutschen» Pfarrhauses sehen wollte - der er nicht war.

Luther und die Seinen

Weder war Martin Luther Pfarrer - er war vielmehr Theologieprofessor -, noch war er der erste Mönch und Prediger seiner Zeit, der eine Ehe einging. Ist dies geklärt, lässt sich die Überschrift der Ausstellung auch ganz nüchtern lesen, als Hinweis auf die Zeitspanne, um die es geht - immerhin bald fünfhundert Jahre. Ganz ohne Luther, vielmehr ohne das idealisierte Bild, welches die deutschen Protestanten sich von ihm, seiner Familie und dem vermeintlichen Lutherschen Pfarrhaus gemacht haben, geht es natürlich dennoch nicht.

Mitverantwortlich dafür ist auch der Kupferstecher Carl August Schwerdgeburth. Sein Stahlstich «Luther im Kreise seiner Familie zu Wittenberg am Christabend 1536» [s. o.] hat die Vorstellung davon, wie es im Hause Luther nicht nur am Weihnachtsabend, sondern stets zugegangen sein mag und wie es auch weiterhin in einem ordentlichen Pfarrhaushalt zuzugehen habe, im 19. Jahrhundert massgeblich geprägt. Der Reformator im Kreise seiner zahlreichen Lieben, fromm die Laute schlagend und andächtig auf den Weihnachtsbaum blickend, unter dem einige, aber nicht zu viele Gaben liegen - dieses bürgerliche Glück im Winkel aus Bescheidenheit, Hausmusik, vielen Kindern und Gästen prägte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Vorstellung vom idealen, efeu- und mythenumwobenen Pfarrhaus.

Jedenfalls im deutschsprachigen Raum und in Skandinavien. Anders sah es in England aus. Die anglikanischen Geistlichen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts dürften mit der ostentativen Bescheidenheit, die viele lutherische Pastoren pflegten, wenig anzufangen gewusst haben. Zwar waren sie, genau wie ihre deutschen oder schwedischen Kollegen, noch von Pfründen abhängig, diese aber hatten sich durch die Umwandlung von dörflichem Gemeindeland in Privatbesitz stark vergrössert. So war es auch für Söhne der Landed Gentry attraktiv, Pfarrer zu werden; aber auch die Geistlichen anderer sozialer Herkunft gaben sich oft, als gehörten sie zu den Besitzenden. Das Bild des Reverend W. Parker als Teilnehmer einer Parforcejagd - undenkbar in Preussen - legt davon ein bemerkenswertes Zeugnis ab.

 
Richard Dodd Widdas, Reverend Parker

Überhaupt die Bilder. Die Kuratoren der Ausstellung haben keine Mühen gescheut, die Bewohner und den Geist des Pfarrhauses sichtbar werden zu lassen. Zusammengekommen sind so einige der schönsten, auch skurrilsten Bilder zum Thema, von denen bisher nur Fachleute, Besucher entlegener Kirchlein oder gut verborgener kirchlicher Kunstsammlungen gewusst haben dürften. So das «Riefelbild» von 1650 aus der Kirche von Breklum in Nordfriesland, das - je nach Standpunkt des Betrachters - Pastor Petrus Pauli, der fast sechzig Jahre in seiner Gemeinde amtierte, oder aber seine Ehefrau Maria zeigt. Der Rolle der «Frau Pastor» angemessen, ohne die so mancher geistliche Herr nicht weit gekommen wäre, ist die Pfarrfrau auf vielen Bildern präsent. 

"Riefelbild" von 1650 aus der Kirche von Breklum in Nordfriesland

Auch auf dem Gemälde, welches das Königreich Württemberg 1867 in die Pariser Weltausstellung schickte: «Empfang eines neuen Pfarrers durch seine Gemeinde im Schwarzwald». Ein junges Pfarrerehepaar tritt dort anmutig-edel einer hocherfreuten Menschenschar entgegen, umspielt von Kindern und Schafen - ein Bild zu schön, um wahr zu sein. Von anderem Kaliber ist das Gemälde eines Gottesdienstes im Freien des finnischen Impressionisten Albert Edelfelt, dessen Realismus - der gesammelt wirkende Pastor, die lauschende Gemeinde - fast etwas Ergreifendes hat. Amüsant andererseits ist das Bild, dessen Thema die häusliche Katechismusprüfung durch den Pastor ist. Im Schwedischen trug diese Prüfung den sprechenden Namen «Husförhör» - Hausverhör. Anschliessend, so zeigt es ein anderes Bild, wurde der Verhörende zu Tisch gebeten.

Husförhör

Die Stationen der Ausstellung, etwa «Amt und Habitus» oder «(Seelen-)Haushalt» mit vielfältigen Exponaten, lassen eindrucksvoll erahnen, was das Pfarrhaus schon lange und bis heute auch ausmacht: nämlich oftmals eine Überforderung für den Pfarrer oder, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, auch die Pfarrerin - durch die Verknüpfung von Amt und Privatleben. Und ebenso für die Familie in ihrer aller «gläsernem Haus», wie das nach allen Seiten offene Pfarrhaus gerne genannt wird. Zusammen waren der Pastor und die Seinen einem Leistungs- und Gewissensdruck unterworfen, der sich sowohl aus den eigenen Normen und Erwartungen als auch aus denen der Gemeinde speiste. Was die Gemeindemitglieder angeht: Einerseits versuchte man so zu sein, wie die Pfarrersleute auf ihrem «Sakralhügel» sein sollten, nämlich edel, hilfreich und gut. Andererseits lauerte dieselbe Gemeinde nicht selten geradezu darauf, dass im tugendhaft sein sollenden Pfarrersleben etwas schiefging. Eine nicht ungefährliche Mischung, die mit dazu beitrug, dem Pfarrhaus als sowohl idealisiertem als auch handfest diesseitigem Ort eine gewisse Spannung und Lebendigkeit zu erhalten.


Gutes Ende

Das Leben und dessen Spannungen unversehrt ins Museum transportiert zu haben, ist ein grosses Verdienst dieser Ausstellung; auch gerade in jenen Teilen, in denen es weniger um äussere Anmutung, um Milieu und Pfarrhaus-Typisches zwischen Beffchen und Bienenzucht geht als vielmehr um Bekenntnis und Politik. Gezeigt wird die wechselvolle Geschichte bis hin zum guten Ende an den Kabinettstischen des vereinigten Deutschland. Dort nahmen entweder die Pastoren selbst Platz oder aber ihre Töchter und Söhne, die die in sie gesetzten grossen Erwartungen einlösten. Dass der SED-Staat durch die den Pfarrersfamilien aufgezwungene Nischenexistenz selbst für deren Politisierung gesorgt und unfreiwillig die Tradition der Gewinnung der Eliten aus dem Pfarrhaus befördert hatte, ist eine schöne Ironie in der Geschichte dieses alten Hauses.

Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses. Deutsches Historisches Museum, Berlin. Bis 2. März 2014. Der empfehlenswerte Katalog gleichen Titels kostet im Museum € 25.-.


Nota.

In den Dörfern und Kleinstädten der norddeutschen Tiefebene war der lutherische Pastor neben, d. h. vor dem Arzt und dem Apotheker der einzige Intellektuelle, und da er, anders als jene, ein offenes Haus zu führen hatte, war das Pfarrhaus neben dem Gutshaus der einzige kulturelle Pol auf dem Lande. Da geht es einem kalt den Rücken runter, wenn man diesen Satz denkt. Aber gerecht ist es nicht. Denn das immerhin war es.
JE

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