Freitag, 27. Dezember 2013

Erst eine Schwellenmacht.

aus NZZ, 27. 12. 2013



Die halbe Weltmacht
David Shambaugh sieht China noch weit entfernt vom Grossmachtstatus
 


von Jürgen Kahl 

China gilt als die unbedingte Weltmacht der Zukunft. In der Gegenwart entspricht Pekings Einfluss auf das Weltgeschehen allerdings noch längst nicht demjenigen einer Supermacht. 

Als David Shambaugh an seinem jüngsten Buch über China schrieb, waren die Massstäbe, an denen der amerikanische Politikwissenschafter die aufsteigende Grossmacht misst, noch halbwegs intakt. Spätestens seit den Enthüllungen über die abgründigen Ausspähpraktiken des militärischen Geheimdienstes NSA muten manche seiner Urteile jedoch ironisch zwiespältig an, etwa, dass China heute der weltweit aggressivste «Cyber-Staat» sei. Dass der amerikanischen Regierung im Kampf gegen den Terror anscheinend jedes Mittel recht ist, macht das chinesische Regime nicht sympathischer. Aber es stärkt auch nicht die Glaubwürdigkeit des Überlegenheitsanspruchs, den der Autor für die liberale Rechtsstaatlichkeit der westlichen Vormacht implizit geltend macht.

Kompakte Gesamtschau

Dennoch fällt «China Goes Global» nicht in die Kategorie des wohlfeilen China-Bashing. Shambaugh, der den zweiten Aufbruch der Volksrepublik seit Beginn der achtziger Jahre aufgeschlossen kritisch begleitet, hat in seinem jüngsten Buch versucht, den globalen Fussabdruck, also das tatsächliche Gewicht Chinas im internationalen Gefüge, nach allen Seiten seines wirtschaftlichen, diplomatischen, militärischen und kulturellen Einflusses zu vermessen. Von besonderem Interesse ist, dass die kompakte Gesamtschau auch einen Einblick vermittelt, wie kontrovers und widersprüchlich selbst in den aussenpolitischen Think-Tanks in China das internationale Rollenverständnis des Weltmacht-Aspiranten diskutiert wird.
 


David Shambaugh:
China Goes Global.
The Partial Power.
Oxford University Press, New York 2013. 409 S., Fr. 45.00




Das Ergebnis, zu dem Shambaugh kommt, nimmt der Untertitel des Buchs vorweg. Die Kennzeichnung Chinas als «partial power» begründet er mit drei Kernaussagen. Die erste bezeichnet die These, wonach das Land dem Status einer Weltmacht greifbar nahe gerückt sei, als irreführende Spekulation.

Durch einen beispiellosen Kraftakt sei China in kurzer Zeit zu einem gewichtigen globalen Akteur geworden. Von der Fähigkeit, das internationale Geschehen über das regionale Umfeld hinaus zu bestimmen, sei es angesichts seines begrenzten diplomatischen und militärischen Einflusses aber noch weit entfernt. Ökonomisch verfüge die zweitgrösste Volkswirtschaft zwar über eine enorme Hebelkraft, die in Schlüsselbereichen wie Auslandinvestitionen oder der Internationalisierung der Unternehmen jedoch noch schwach ausfalle.

Was sich aus der Analyse der chinesischen Aussenbeziehungen ergibt, fasst Shambaugh mit dem Begriff «lonely power» zusammen. Er beschreibt das Profil einer Grossmacht, die dank ihrer omnipräsenten Diplomatie beachtliche Terraingewinne verbuchen kann, aber kaum politische Freunde gewonnen hat. Das periodische Auf und Ab im Verhältnis zu den USA ist von wechselseitig tiefem strategischem Misstrauen geprägt. Auch die von wiederkehrenden Irritationen überschatteten Beziehungen zu Europa bleiben störungsanfällig.

Selbst in Afrika, wo China dank seiner grosszügigen Entwicklungshilfe in Umfragen am besten abschneidet, haben die Begehrlichkeiten nach Rohstoffen unterschwellig eine Abwehrhaltung gegen die neokoloniale Ausbeutung erzeugt. Einer strategischen Partnerschaft am nächsten kommt die chinesisch-russische Tandembeziehung, die bei kritischen Abstimmungen im Uno-Sicherheitsrat wie im Fall Syrien als «Koalition der Unwilligen» auftrete. Aber auch diese Verbindung wecke Zweifel, ob die Gemeinsamkeiten über die geostrategisch opportune Frontstellung gegenüber den USA hinausreichten.

Wenig politisches Engagement

Als dritte Auffälligkeit weist Shambaugh auf die Diskrepanz zwischen dem diplomatischen Aktionismus und der starken Zurückhaltung Chinas bei der Bewältigung globaler Probleme hin. Ein aussenpolitisches Verhaltensmuster, das er als zögerlich, risikoscheu und in sehr engem Sinne vom Eigennutz bestimmt charakterisiert und im innerchinesischen Diskurs gespiegelt findet.

Die grösste Gefahr gehe von einem China aus, das vom Rest der Welt überschätzt wird und sich selbst überschätzt. Die Antwort auf die Frage, was daraus für die westliche Chinapolitik folge, fällt bemerkenswert wortkarg aus. Das mag daran liegen, dass Shambaugh sonst einräumen müsste, dass es China weltweit mit Grossmächten zu tun hat, die allesamt selbst nur noch als «partial powers» in Erscheinung treten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen