Freitag, 14. Februar 2014

Der militärisch-industriell-wissenschaftliche Komplex.

Bombenabwurf auf Hiroshima
aus Die Presse, 13. 2. 2014

Wie der Zweite Weltkrieg die US-Physik prägte

Als Waffen gebraucht wurden, lenkte das Militär mit viel Geld die Forschung um: zur Ingenieurskunst.

Der Krieg hat immer schon die Wissenschaften in seinen Dienst gestellt, vor allem die Physik, er hat sie gefördert und gelenkt und verengt, von Archimedes' (vielleicht nur mythischem) Brennspiegel zum Einäschern feindlicher Flotten über Leonardos Wurfmaschinen bis hin zu den Raketen des Wernher von Braun. Aber so einflussreich wie in den USA im Zweiten Weltkrieg bzw. der Vorbereitung auf ihn war er selten, dort trieb er die ganze Physik weg von den Grundlagen und hin zur Anwendung, Waffen mussten her.

Etwa Radar: Am 17. Oktober 1940 rief Carl Compton, Präsident des Massachusetts Institute of Technology (MIT), von Washington aus in seiner Universität an, man brauche einen kleinen Raum für ein streng geheimes Verteidigungsprojekt. Der Raum fand sich, in ihm wurde das Radiation Laboratory („Rad Lab“) aufgebaut, dort wurde ein britisches Radarsystem weiterentwickelt, zunächst von 20 Physikern, drei Polizisten, zwei Laborgehilfen und einer Sekretärin. Am Ende des Krieges waren es 4000. Überboten wurde das natürlich vom Manhattan Project, in dem, quer durch die USA, 125.000 Menschen die Atombombe entwickelten, sie kostete 1,9 Milliarden Dollar (heute wären das 25 Milliarden), das Rad Lab lag in ähnlicher Größenordnung, insgesamt investierte das US-Militär ein Prozent seiner Ausgaben in die Wissenschaft.

„Shut up and calculate!“

Das war nicht viel für das Militär. Aber für die Physik: 1949 kamen 96 Prozent der Forschungsförderung vom Militär, 1954 98 Prozent – und die gesamte Förderung war 25-mal so hoch wie 1938. Das hatte seinen Preis: „Oh, dammit, engineering isn't physics, is that plain? Take, oh take, your billion dollars, let's be physicists again.“ So beklagte 1948 ein Physiker aus dem Rad Lab den Wandel seiner Zunft, die sich, gelockt und getrieben vom Geld, von den großen Fragen abgewandt hatte – von denen etwa nach dem Ursprung des Universums oder den Feinheiten der Quanten – und mit Pragmatismus begnügte: „Shut up and calculate!“, hieß es im Rad Lab, wenn einer zu tief dachte.

Dabei fiel schon vieles ab, von Supraleitern bis zum Standardmodell, aber noch Mitte der Sechziger schlossen drei Viertel der Physikstudenten der USA in den zwei Gebieten ab, auf die das Militär sich und sein Geld konzentrierte: Nuklear- und Festkörperphysik, Wissenschaftshistoriker David Kaiser (MIT) hat es dokumentiert (Nature 505, S.153).

Er weiß auch, dass in den 1960er-Jahren alles anders wurde und warum – Grund war der Vietnamkrieg und die Reaktion an den Unis darauf –, er hat es in einem Buch erzählt: „How the Hippies Saved Physics“. (jl)

Nota.

Den Vergleich zwischen Roosevelts New Deal und dem deutschen Nationalsozialismus hat schon Leo Trotzki* gezogen - natürlich nicht, was die politische Form angeht, wohl hinsichtlich der historischen Mission: eine aktive Industrie- und Sozialpolitik unter passiver Einbindung der Arbeiterschaft; zwecks Griff nach der Weltmacht. Der von Dwight D. Eisenhower so genannte "militärisch-industrielle Komplex" ist dessen nachhaltige Hinterlassen- schaft.
JE 

*) "Zwei Methoden rivalisieren auf der Weltarena, um den historisch verurteilten Kapitalismus zu retten: Der Faschismus und der New Deal. ... Mit anderen Worten, sie [die Politik des New Deal] führt zu dem gleichen Ergebnis wie die Politik des Faschismus." Marxismus in unserer Zeit

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