Samstag, 14. Februar 2015

Ein Gott, der Liebe und Treue verlangt.

aus nzz.ch, 14.2.2015, 05:30 Uhr                                                                 eggarthamburg

Jan Assmanns Buch «Exodus»
Ein Gott, der Liebe und Treue verlangt

von Bernhard Lang 

Wer einmal im Alten Testament gelesen hat, dem dürfte das Buch Exodus – das 2. Buch Mose – nicht entgangen sein. Sein epischer Bericht führt vom schweren Frondienst der Hebräer in Ägypten, vom Aufstieg des Mose zum Befreier seines Volkes und vom Auszug der Hebräer aus dem Land der Knechtschaft bis zum Berg Sinai. Dort erhält das Volk von seinem Gott Jahwe die Zehn Gebote und weitere Gesetze, die sich teils auf die kultische Verehrung des einen Gottes, teils auf zwischenmenschliches Verhalten beziehen. Bis heute übt das Buch Exodus eine fast unglaubliche Faszinationskraft aus. Oratorien, Bühnenstücke, Romane, Monumental- filme und nicht zuletzt Michelangelos Moses-Skulptur sowie Sigmund Freuds Studie «Der Mann Moses und die monotheistische Religion» zeugen davon. Besonders Theologen und Historiker fühlen sich von dem Werk herausgefordert. Auch Philosophen und Kulturwissenschafter haben den Text entdeckt. In seinem Buch «Exodus. Die Revolution der Alten Welt» bietet nun der Heidelberger Ägyptologe und Religionswissenschafter Jan Assmann einen Kommentar von fast fünfhundert Seiten.

Politische und religiöse Pointe

Assmann liest das Buch Exodus nach der Art eines historischen Romans – als eine Erzählung, die in der Vergangenheit spielt, aber die Gegenwart meint. Die Vergangenheit ist die legendäre Zeit des Auszugs aus Ägypten (vielleicht um 1200 v. Chr.), die Gegenwart der Erzähler dürfte die Zeit um 500 v. Chr. sein. Israel war damals ein kleines Untertanenvolk im Persischen Reich. Einem Provinzverwalter unterstellt, besass es keinen König, und sein Tempel, 586 v. Chr. verwüstet, lag noch in Trümmern. Von der Vergangenheit wird nun so erzählt, dass sie für die Gegenwart relevant ist. Das geschieht durch die von Gott auf dem Berg Sinai verfügten Gebote, von denen in der alten Exodus-Sage noch nicht die Rede war.

Statt des Königs erlässt Israels Gott selbst und höchstpersönlich die Sozial- und Kultordnung. Die Religion bedarf keines Königs als Gesetzgeber – darin besteht die politische Pointe des Exodus-Buches. Die von Gott verfügte Kultordnung kann verwirklicht werden, sobald der neue Tempel mit Genehmigung der persischen Behörden errichtet ist. Tatsächlich wurde um 500 v. Chr. ein neuer Tempel in Jerusalem erbaut – doch davon ist im Buch Exodus nicht die Rede, denn die Erzählung spielt ja in der Vergangenheit und berichtet deshalb von der Zeit des Mose.

Die göttliche Gesetzgebung gipfelt in den Zehn Geboten. Verheissen wird göttliches Wohlwollen «denen, die mich» – Gott – «lieben und meine Gebote halten». Die Beziehung zwischen dem Volk Israel und seinem Gott wird als einzigartige Liebesbeziehung geschildert, die den «Gefühlsgehalt» der biblischen Religion ausmacht. Das Volk «glaubt» an den Gott und ist ihm «treu» – oder auch einmal «untreu», wenn es göttliches Gebot übertritt. Assmann spricht von einem emotional konnotierten «Monotheismus der Treue». Wenn das Buch Exodus von Gott als «eiferndem», «eifersüchtigem» oder «zornmütigem» Gott spricht, bewegen wir uns stets im Bereich hoher Affektivität, wie sie für Liebesbeziehungen typisch ist. Glaube, Treue und Exklusivität kennzeichnen die Beziehung zwischen Gott und Volk auch dann, wenn von ihr im Buch Exodus in der juridischen Sprache der altorientalischen Diplomatie als von einem «Bund» die Rede ist, der zu Loyalität verpflichtet.

Affektive Religion

Indem das Buch Exodus das Verhältnis zwischen Gott und Volk als Liebesverhältnis beschreibt, schafft es einen ganz neuen, bis anhin nicht da gewesenen Typus von Religion. Man mag ihn als affektive Religion bezeichnen. Die Kulturen des alten Ägypten und Vorderasiens kannten diese Form der Religiosität nicht. Dort war Religion Sache des fraglosen Herkommens oder, im Ausnahmefall der monotheistischen Episode des Pharaos Echnaton, eine «wahre» Religion, die alle anderen Religionen als «falsch» disqualifiziert und sogar bekämpft. Tatsächlich haben die affektive Revolution des Buches Exodus und der «Monotheismus der Treue» Schule gemacht. Von Christentum und Islam übernommen, ist der affektive Monotheismus zum weltweit führenden Religionsmodell aufgestiegen. Dass in ihm Gewalt als Möglichkeit «angelegt» sei, hat Assmann in früheren Publikationen zu bedenken gegeben.

Jan Assmann hat – nicht zum ersten Mal – ein fulminantes Werk geschrieben. Mit dem Buch Exodus erschliesst er ein klassisches Werk der Religionsgeschichte und zeigt dessen weltgeschichtliche Bedeutung.

Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. Verlag C. H. Beck, München 2015. 493 S., Fr. 44.90.


Nota. - Die vermutlich früheste monotheistische Religion war die Lehre Zarathustras. Sie hielt sich, wie die mosaische, in ethnischen Grenzen, ohne als Stammesreligion aufzutreten, und war stark moralisch geprägt, denn sie lehrte den universalen Kampf zwischen Gut und Böse. Weshalb sie es nie weit über Persien hinaus geschafft hat, wäre eine Überlegung wert.
JE  




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