Mittwoch, 4. März 2015

Des Buchdrucks zweite Geburt.

Octavausgabe von Catull Tibull Properz; von Aldus Manutius, Venedig 1502
aus Die Presse, Wien, 4. 3. 2015

Kulturgeschichte: Der Taschenbuch-Revolutionär
500 Jahre nach seinem Tod ist die Bedeutung des Druckers Aldus Manutius ungebrochen: Er ermöglichte jedermann das private, dem Zugriff der Herrscher entzogene Lesen. Eine Ausstellung in New York erinnert an ihn.

von Oliver Grimm (New York)

Als der Gelehrte Aldus Manutius im Sommer 1490 in Venedig eintraf, hatte der Buchdruck – kurz zuvor noch auf den Ursprungsort im Rheinland und auf die Anfertigung großer, schwerer heiliger Schriften beschränkt – gerade den Sprung über die Alpen in die damals intellektuell fruchtbarste Region Europas geschafft – und war drauf und dran, seine disruptive Kraft über die Vermittlung und Kontrolle von Wissen zu entfalten. Venedig war nach dem Fall Konstantinopels an die Osmanen im Jahr 1453 eine der letzten kulturellen Brücken zu den Texten der griechischen Antike. Die Dogen herrschten zwar mit eiserner Faust, ließen den griechischen Flüchtlingen aber bei der publizistischen Weitergabe alter Denker freiere Hand als die Medici in Florenz. 1469 siedelten sich zwei Drucker aus Speyer in Venedig an und erhielten das Druckerprivileg: Die Saat für eine Wissensrevolution war ausgebracht.

Als der 40-jährige Manutius sich 21 Jahre später in Venedig niederließ, gab es bereits 133 Druckereien. Er hatte an Fürstenhöfen adelige junge Herren in Griechisch unterrichtet, und er witterte eine Geschäftsidee: Sprachlehrbücher zum Selbststudium. Rasch publizierte er Grammatiken, Lexika, Übungsbücher. 1497 brachte er die erste lateinische Fassung der griechischen Grammatik des Franziskaners Urbano Valeriani in Druckform heraus. So demokratisierte er den Wissenserwerb: Nun konnte dieses Buch auch lesen, wer noch nicht Griechisch konnte. Diese „Institutiones Graecae Grammatices“ waren so populär, dass Erasmus von Rotterdam 1499 beklagte, er finde keine Ausgabe mehr.

Das erste Oktavformat

„Er hatte nicht das große Geld, aber er war ein Mann der Ideen“, erzählt H. George Fletcher, Kurator einer feinen neuen Manutius-Ausstellung im New Yorker Grolier Club, bei einer Besichtigung durch die „Presse“. Die beste Idee dieses Humanisten sollte die Kulturform des Lesens revolutionieren. 1501 veröffentlichte er sein erstes „Octavo“, ein kleines Druckwerk von der Größe heutiger Taschenbücher. „Jedermann kann sie in der Hand halten und auswendig lernen (vom Lesen ganz zu schweigen)“, beschrieb er diese Bücher, deren Oktavformat sich daher ableitet, dass man auf einen Bogen Papier 16 Seiten druckt und ihn dreimal faltet, wodurch man acht beidseitig bedruckte Blätter erhält.

dass.; die kursiv nach rechts geneigte Schriftart heißt auf Englisch noch heute italics.

Solche handlichen Bücher hatte es, in handschriftlicher Form, seit Längerem gegeben, als rasch und billig produzierbare Druckwerke aber nicht. Manutius ermöglichte damit das Lesen als private, diskrete Tätigkeit: eine wesentliche Voraussetzung für den Humanismus, die Verbreitung neuer, heterodoxer Ideen und Kritik an der Macht. „Man konnte mit einem Mal etwas lesen, ohne dass einem ständig jemand über die Schulter schaut, und ohne eigens in die Bibliotheken pilgern zu müssen“, gibt Fletcher zu bedenken. Der Reformator Philipp Melanchthon schenkte Martin Luther eine Werkausgabe Homers aus der Aldinischen Druckerei, Erasmus besaß einen Herodot, der französische Gesandte und humanistische Bücherliebhaber Jean Grolier einen Homer.

Nach Grolier ist der 1884 in New York gegründete Grolier Club benannt, der für diese Schau knapp 130 Aldinen zusammengeführt hat. Das eröffnet reizvolle Einblicke in das Geistes- und Geschäftsleben der Hochrenaissance. Die Piraterie geistigen Eigentums beispielsweise plagt nicht nur heutige Geistesarbeiter. Die Octavi aldinischer Prägung verbreiteten sich rasch über Norditalien nach Frankreich, Deutschland und Flandern. Aber nur die wenigsten stammten von Manutius. Zwar hatte ihm der Papst ebenso Urheberrechtsschutz gewährt wie der Doge, unter der Strafdrohung der Exkommunikation. Doch außerhalb Roms und Venedigs war das totes Recht, und das Raubkopierertum florierte. Vor allem in Lyon fälschte man seine Werke ohne Hemmung. Aldus war erzürnt über diese Bücher voller Fehler und mit schlampiger Typografie, die eine üble „Gallicitas“, eine „Franzosenhaftigkeit“ verströmten. Er veröffentlichte einen Anschlag, der Merkmale auflistete, an denen man Fälschungen erkennen konnte. „Die Fälscher sagten: Besten Dank, korrigierten ihre Ausgaben und kopierten fröhlich weiter“, sagt Fletcher.

Manutius' Druckermarke.

Mit diesem Problem rang damals auch Albrecht Dürer, der das Raubkopieren seiner Drucke und Stiche in Venedig zu bekämpfen versuchte (mit mäßigem Erfolg). Noch etwas verband Manutius und Dürer: das blaue venezianische Papier. Man kennt es etwa von Dürers „Betenden Händen“. Zum begehrten Markennamen wurde Dürer ebenso wie Manutius, ob im Original oder als Raubkopie: In der Ausstellung ist auch eine Fälschung zu sehen, die statt auf Papier auf Kalbspergament gedruckt wurde – um die fünffachen Kosten. Ein Statussymbol für Wissensprotze: „Mit einer Aldine konnte man zeigen: Ich bin hip, ich weiß, was gerade in ist“, erklärt Fletcher.

Wir lesen heute seine Schrift

Die lesende Welt verdankt Manutius drei typografische Erneuerungen. Er schuf die erste kursive Druckschrift. Auch den ersten gedruckten Strichpunkt, als Mittel zur Markierung einer gedachten Pause, findet man in einem aldinischen Buch. Und vor allem erschien 1496 in der Aldinischen Presse das erste Buch, das in der Schriftart Bembo gesetzt war, benannt nach dem Humanisten und späteren Kardinal Pietro Bembo, dem Autor dieses Werks. Wer heute Bücher liest, dessen Blick gleitet fast immer über die Bembo oder eine aus ihr abgeleitete Schriftart.

Im Februar 1515 starb Manutius; wo er begraben ist, weiß niemand. Seine Druckerei ist unzähligen Umbauten am Campo Sant' Agostino zum Opfer gefallen. Sein Markenzeichen, das er 1502 erstmals in eines seiner Bücher drucken ließ, besteht jedoch bis heute, seit den 1930er-Jahren auf den Büchern des US-Großverlages Doubleday: ein Delfin, der sich um einen Anker schlingt. Manutius hatte dieses Symbol erstmals auf einem Silberdenar aus der Zeit des römischen Kaisers Titus gesehen, es versinnbildlichte das Sprichwort „festina lente“, das man sinngemäß mit „Eile mit Weile“ übersetzen kann.

Eile mit Weile, Standhaftigkeit in den Absichten und Geschwindigkeit in der Umsetzung hätten Manutius' Wirken geleitet, schrieb Erasmus 1508 in seinen „Adagia“. Erschienen waren sie, wie viele andere zeitgenössische humanistische Texte und die ersten gedruckten Ausgaben der Werke von Aristoteles, Aristophanes, Sophokles, Euripides, Herodot und Plato, in der Aldinischen Presse. Für Manutius hatte Erasmus nur tiefste Bewunderung. Er baue eine Bibliothek, „die keine Wände kennt außer jene der Welt an sich“.

„A Legacy More Lasting Than Bronze“, Grolier Club New York (www.grolierclub.org) bis 25.April.


Nota. - Manchmal muss eine Erfindung, die die Welt verändern sollte, zweimal gemacht werden. Das Rad zum Beispiel, das als eine unserer ganz großen Errungenschaften gilt, hat über Jahrtausende neben der Fluss- und Seeschifffahrt nur eine untergeordnete Rolle gespielt; es gab ja gar nicht genügend befestigte Straßen auf der Welt, für die es hätte taugen können!* Das Gesicht und sogar den Geist der Welt hat es erst verändert, als die Eisenbahn hinzukam und der Verbrennungsmotor, und als es Staaten gab, die im großen Stil Straßen bauen konnten..

Gutenberg hatte eine mediale Revolution nie im Sinn. Er wollte gar nicht das Vervielfältigen von Büchern vereinfachen und Verbilligen, und tatsächlich war die Herstellung seiner ersten Bibeln nicht minder zeitaufwändig und kostspielig wie das Kopieren von Hand. Aber das Schriftbild war einheitlicher und die Faktur sauberer, und darauf kam es bei der Heiligen Schrift vor allem an. - Hätte nicht Manutius das Taschenformat erfunden - na ja, oder ein anderer -, wär' heut von einer Gutenberggalaxis nicht die Rede.
JE

*) Es heißt, die indianischen Kulturen Südamerikas wären den Europäern nicht zuletzt darum unterlegen, weil sie das Rad noch nicht erfunden hatten. Dabei kannten sie es, sie haben es in ihren gebirgigen Ländern nur nicht zum Transport genutzt - sondern lediglich für die Spielzeuge ihrer Kinder.



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