Sonntag, 31. Januar 2016

Was hat der arabische Frühling mit unserm Flüchtlingsproblem zu tun?


in Slowenien, 2015

In der gestrigen FAZ hat Hans-Ulrich Gumbrecht unterm Titel Migrations-Energie einen etwas pompösen "anthropo-logischen Einwurf" zum Thema Völkerwanderung veröffentlicht. Er erinnert daran, dass die Gründe, die zu jener historischen Migrationsbewegung geführt haben, aus der Europa entstanden ist und die wir bis heute als die Völker-wanderung kennen, noch immer ganz ungeklärt sind, und verweist auf die Kreuzzüge als eine Jahrhunderte währende Wanderungsbewegung des westeuropäischen Adels (deren Grund, der Abschluss der feudalen Landnahme, freilich weniger im Dunkel liegen als ihre spezifischen Anlässe). Er nimmt das zum Anlass, eine "Migrationsenergie" als eine Art stochastische anthropologische Konstante zu postulieren. Das bleibt noch wolkig und gibt wenig Hinweis auf künftige Handlungsmöglickeiten.

Aktuell ist aber sein nur zur Unterstützung herangezogener Hinweis auf die gegenwärtige Abwanderungsbewegung aus den arabischen Ländern. Der Hintergrund sei die tiefgreifende und langwierige Unterminierung der traditionel-len islamischen Kultur durch die Neuen Medien, die den Einfluss der "Verwestlichung" im Laufe des 20. Jahrhun-derts (die nur die Oberschicht betraf) weit übersteigt, und deren erste große Manifestation der arabische Frühling vor fünf Jahren gewesen ist. Dessen Ausgang war tief enttäuschend, nicht einmal in Tunesien sind die Erfolge sehens-wert, in Ägypten folgte eine Konterrevolution wie aus dem Lehrbuch, in Libyen das Chaos und in Syrien das helle Grauen. Und im Irak können sie sich nur trösten, dass die rechtzeitige Beseitigung Saddams wenigstens den offenen Krieg zwischen den Konfessionen vermieden hat; aber schlimm genug ist es auch so.

Bei dem Massenexodus aus dem Nahen Osten handle es sich um eine Umleitung der damals freigesetzten Energien – aus einer öffentliche Massenbewegung in die paradoxe "private Massenbewegung" der Auswanderung. Das hat Realitätsgehalt über die anthropologische Spekulation hinaus, und längst ist bemerkt worden, dass der jihadistische Terror kein Anzeichen für zunehmenden Fundamentalismus, sondern im Gegenteil eine ultraminoritäre Manifesta-tion gegen den fortgeschrittenen Laizismus darstellt. Die Laizisierung wird unaufhaltsam voranschreiten, für terrori-stische Reaktionen ist auf Dauer für Anlass gesorgt.

Auch ohne autonome "Migrationsenergie" wird daher der Zuwanderungsdruck auf Europa anhalten. Er wird eine Konstante der europäischen Politik wenigstens für ein Jahrzehnt sein.


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