Sonntag, 15. Januar 2017

War's das mit der politischen Korrektheit?

aus Tagesspiegel.de, 14. 1. 2017 

Öffentlichkeit und Zensur 
Politische Korrektheit führt zur geistigen Knechtschaft
Unter dem Deckmantel der Politischen Korrektheit wird die Meinung an die Moral gebunden. Damit wird die Gesellschaft zum Opfer eines politisch motivierten "Tugendterrors".

 

Bild von Norbert BolzPolitische Korrektheit ist ursprünglich ein Campus-Phänomen. Man hat den Politikern erfolgreich eingeredet, Universitäten seien pluralistische Institutionen, die nach Proporz und Quote besetzt werden müssten. Es geht also um die Bevorzugung bestimmter politisch organisierter Gruppen, die Erhöhung von Gruppenanteilen. Die ideologische Färbung eines Bewerbers wiegt seither viel schwerer als seine Qualität. Vor allem die Freiheit der Berufung ist durch Gleichstellungspolitik und Quotierung radikal beschnitten worden. 

Die vermeintliche Moralisierung der Sprache verfolgt politische Interessen.

Das ist wohl eine Spätfolge der Studentenbewegung. Sie wiederholt sich heute als die Farce der Politischen Korrektheit. Ihr Diskurs setzt sich zusammen aus „Demobürokratie“ (Niklas Luhmann) und Sprachhygiene, aus Moralismus und Heuchelei, aus Sozialkitsch und einer politisch gefährlichen Perversion der Toleranz. Und der Ton verschärft sich zusehends. Denn man wird politisch aggressiv, wenn man theoretisch nicht mehr weiter weiß. Unsere Gesellschaft wird so zum willenlosen Opfer eines Tugendterrors, der in Universitäten, Redaktionen und Antidiskriminierungsämtern ausgebrütet wird. Man darf ihn übrigens nicht offiziell als Politische Korrektheit ansprechen – das wäre politisch unkorrekt.

Die neuen Ingenieure der Seele arbeiten mit Sprachcodes, Gruppenidentitätszuschreibungen und Trainingscamps für „sensitivity“ und „awareness“. Hier ist die offene Diskussion freier Individuen längst durch Zensur, Einschüchterung und Indoktrination ersetzt worden. In der Vergangenheit diskriminierte Gruppen sollen durch positive Gegendiskriminierung Wiedergutmachung erfahren. Wer widerspricht, wird nicht widerlegt, sondern zum Schweigen gebracht. Abweichende Meinungen werden heute schärfer sanktioniert als abweichendes Verhalten. Diese Sanktionen laufen zumeist nicht über Diskussionen, sondern über Ausschluss. 

Die Zensur ist das zwangsläufige Ende von öffentlichem Diskurs und Meinungsvielfalt. 

Nun könnte man denken, dass ja immerhin noch die Gedanken frei sind. Aber es ist ein Irrtum, zu glauben, dass derjenige, dem man das Sprechen und Schreiben beschneidet, noch frei denken könne. Es gibt keine Freiheit des Denkens ohne die Möglichkeit einer öffentlichen Mitteilung des Gedachten. Und das gilt nicht nur für die wenigen Schreiber, sondern gerade auch für die vielen Leser. Gedankenfreiheit bedeutet für die meisten Menschen nämlich nur die Möglichkeit, zwischen einigen wenigen Ansichten zu wählen, die von einer kleinen Minderheit öffentlich Redender und Schreibender verbreitet worden sind. Deshalb zerstört das Zum-schweigen-bringen abweichender Meinungen die Gedankenfreiheit selbst.

Aus Angst vor Isolation beobachtet man ständig die öffentliche Meinung. Und öffentlich heißt eben genau die Meinung, die man ohne Isolationsangst aussprechen kann. Wir fürchten also nicht, eine falsche Meinung zu haben, sondern mit ihr allein zu stehen. Die Isolationsangst regiert die Welt. Wer aber den Zorn der anderen fürchtet, schließt sich leicht der Meinung der scheinbaren Mehrheit an, auch wenn er es eigentlich besser weiß. Er bringt sich selbst zum Schweigen, um seinen guten Ruf nicht aufs Spiel zu setzen.

Das ist der Ansatzpunkt für eine Dynamik, die Elisabeth Noelle-Neumann „Schweigespirale“ genannt hat. Und die wird heute von der Politischen Korrektheit genutzt. Sie ist zum einen durch die Verschmelzung von Thema und Meinung gekennzeichnet – man darf zu bestimmten Themen nur eine Meinung haben. Zum andern haben wir es mit einer Moralisierung am Medienpranger zu tun – dem politisch Unkorrekten wird der Schauprozess gemacht. 

Politische Korrektheit darf nicht die Bedingung für soziale Akzeptanz sein. 

Wenn die veröffentlichte Meinung in unserer Gesellschaft gesprochen hat, bringt kaum mehr jemand den Mut zum Widerspruch auf. Ihr Druck ist so groß, dass gesetzlicher Zwang vielfach überflüssig wird. Und so breitet sich ein ewiger Friede des Intellekts aus. Niemand wagt es, einem unabhängigen Gedankenzug zu folgen. Deshalb gibt es auch keine großen Denker mehr. Abweichende Meinungen, die sich doch noch aus der Deckung wagen, werden sozial bestraft. Wie eh und je ergeht dann das Scherbengericht. Die soziale Intoleranz fügt heute zwar niemandem mehr körperlichen Schaden zu, aber wer anders denkt, muss seine Meinung maskieren oder auf Publizität verzichten.

Nietzsche hat einmal gesagt, der große Mensch sei ohne Furcht vor der Meinung. Der Satz ist aktueller denn je, denn heute wird eine abweichende Meinung schärfer kontrolliert als eine abweichende Handlung. Auf die abweichende Meinung reagieren die Politiker und ihre Mediengetreuen nicht mit Widerspruch, sondern mit Empörung.

Wenn abweichende Meinung als unmoralisch gelten, führt das in eine geistige Knechtschaft. 

Längst haben die neuen Jakobiner die Stellen der sozialen Kontrolle dessen besetzt, was als diskutabel gilt. Damit koppeln sie die Moral vom gesunden Menschenverstand ab. Der Politischen Korrektheit geht es nicht darum, eine abweichende Meinung als falsch zu erweisen, sondern den abweichend Meinenden als unmoralisch zu verurteilen. Man kritisiert abweichende Meinungen nicht mehr, sondern hasst sie einfach.

Schlechte Vorzeichen also für das kommende Lutherjahr. Luther predigte noch spirituelle Freiheit in politischer Knechtschaft; wir haben heute spirituelle Knechtschaft in politischer Freiheit. 

Norbert Bolz ist Medienwissenschaftler an der  Technischen Universität Berlin


Nota. - Er kommt ein bisschen spät mit seiner Abrechnung. Seit der Wahl Trumpps - nein, schon seit seinem Wahlkampf ist die Politische Korrektheit Schnee von gestern. Auf die Dauer wird die Neue Rüpelei zwar auch nicht ohne politischen Schaden bleiben, aber einstweilen wirkt sie schon ein bisschen wie frische Luft. Man muss im Schlechten auch das Gute sehen können.
JE


 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen