Dienstag, 11. April 2017

Hochkultur am Amazonas?

aus Die Presse, Wien,

Amazonien, altes Agrarland
Lang galten die endlosen Regenwälder als Natur. Aber weithin sind sie von Kulturgeformt, die Barbarei der Abholzungen bringt es ans Licht.



Wie Igel hätten die Schiffe ausgesehen, so gespickt seien sie mit Pfeilen gewesen. Das überlieferte Friar de Carvajal, Seelsorger im Gefolge des Konquistadoren Francisco de Orellana. Der war im Februar 1541 vom Oberlauf des namenlosen Flusses losgesegelt, bald gingen die Vorräte aus, die Spanier plünderten und stecken Dörfer in Brand. Aber die Gegenwehr wurde immer stärker, und die Indianer wurde immer mehr, bald waren die Ufer gesäumt. Am 24. Juni 1542 dann, nach fast 6000 Kilometern Fahrt und schon weit am Unterlauf, kam die Wolke der Pfeile – einer kostete de Carvajal ein Auge –, sie kam von Indigenen, die einem Stamm von Frauen tributpflichtig waren. Die kämpften an vorderster Front, „tapfer und als Führer der anderen“.

Die Spanier töteten „sieben oder acht Amazonen, worauf die Indianer ihren Mut verloren“, dann machten sie sich selbst eilig davon, am 6. August erreichten sie die Mündung. Da hatte der Fluss seinen Namen, de Orellana hatte sich von den Kriegerinnen inspirieren lassen. Der Name blieb, der Rest geriet in Vergessenheit, bald, in Spanien glaubte keiner die Geschichte von den Amazonen und auch nicht die von den Heerscharen. Denn andere Raubzüge fanden schon kurz darauf fast niemanden: Amazonien war menschenleer, Urwald seit eh und je.


Diese Sicht hielt sich lang, sie wurde dadurch unterstützt, dass es in den endlosen Wäldern auch kaum größere Tiere gibt – außer im Wasser –, und der Grund war spätestens 1971 klar, da publizierte US-Archäologin Betty Meggers ein höchst einflussreiches Buch, „Amazonia: Man and Culture in a Counterfeit Paradise“: Der riesige Regenwald sieht nur so üppig aus, in Wahrheit ist er eine „grüne Wüste“ oder auch eine „nasse Wüste“, deren karge Böden kaum Nährstoffe haben, außer denen, die von weit her kommen, mit dem Wind aus Afrika.

Die gehen sofort in die Vegetation, und neue kann sich nur bilden, wenn alte verrottet: Herausziehen kann man nichts, schon gar nicht für große Populationen. Das Buch hatte seinen Hintergrund darin, dass Amazonien von der Agrarindustrie entdeckt worden war und das großflächige Waldvernichten begonnen hatte, Meggers wollte es abwenden. Das gelang ihr nicht. Aber die Forschung wurde lang durch sie gelähmt: Als Archäologen, unter ihnen der Student Alceu Ranzi, 1977 in Acre am Oberlauf des Amazonas Geoglyphen entdeckte – menschgemachte Muster in der Erdoberfläche, Kreise, Rechtecke etc. –, wurde der Fund elf Jahre nicht publiziert, und erst nach 20 Jahren sah Ranzi, inzwischen Paläontologe an der Universität von Acre, noch einmal genauer hin: Die Fläche zog sich über tausend Kilometer.


Und die Geoglyphen waren eingebettet in viel ältere und größere Modifikationen der Erdoberfläche, die auf intensive Bewirtschaftung deuteten: Da waren Dämme gezogen worden und Inseln aufgeschüttet, so trotzen die Bewohner dem lebensfeindlichen Klima, das das Land das halbe Jahr unter Waser setzt und die restliche Zeit ausdörrt. Mit den Dämmen hielt man das Wasser zurück und die zahllosen Fische darin, in zickzackförmigen Abflüssen wurden sie geerntet. Ergänzt wurde die Aquakultur durch ausgefeilte Hortikultur auf den künstlichen Inseln.

Terra preta.  


Bald fanden sich auch anderswo am Fluss Zeichen längst verfallener und vergessener Siedlungen und Zeichen längst vergessenen, aber noch fruchtbaren Wissens: Die dortigen Böden sind keineswegs karg, im Gegenteil, sie tragen so üppig, dass sie als Blumenerde verkauft werden. Und das, obwohl sie vor über 500 Jahren von Menschen gemacht (und seitdem nicht gepflegt) wurden: Die veredelten die magere gelbe Erde zu fetter schwarzer – „Terra preta do Indio“–, sie mischten Knochen und Gräten hinein und Holzkohle und Kot, die exakte Rezeptur ist trotz vieler Mühen noch nicht rekonstruiert. Abschätzen konnte man immerhin, wie viele diese Erde nähren konnte: Die größte Terra-preta-Fläche hätte für 200.000 Menschen gereicht – heute halten sich in der Region gerade 500 –, das wären fast so viele gewesen wie in der damals größten Metropole der Erde, der Azteken-Hauptstadt Tenochtitlan (Science 297, S. 920). Solche Funde befeuerten die Amazon Archaeology Wars, sie wurden darüber geführt, ob Amazonien Urwald war oder Kulturland, sie wurden hart geführt, und entschieden wurden sie mit böser Ironie durch die fortschreitende Zerstörung des Regenwalds: Wo immer Rodungstrupps anrückten, kamen frühere Zivilisationen ans Licht, auch an der Mündung fanden sich Geoglyphen und ganz im Nordosten gar Monolithen, die so aufgestellt waren, dass sie als „Stonehenge des Amazonas“ Schlagzeilen machten.


Das ist natürlich Spekulation. Und spannender waren ohnehin vorderhand unspektakuläre Funde, etwa die von Pollen im Boden. Die zeigen, wieder in Acre, dass die Geoglyphen mitten in einem Wald errichtet wurden, er bestand aus Bambus und wurde vor 6000 Jahren für die Erdarbeiten partiell gerodet. Dann war bald wieder Wald da. Aber keiner aus Bambus und keiner von der Natur. Stattdessen wurden Bäume gesetzt, deren Früchte sich nutzen lassen, Palmen etwa, die dominieren heute noch, Ranzi hat es gerade gezeigt (Pnas 21. 2.). Und es ist nicht nur in seiner Region so: Carolina Levis (Wageningen) hat in ganz Amazonien Tausende Waldflächen und archäologische Stätten abgeglichen: Vor allem in deren Nähe überwiegen Bäume wie Kakao und Paranuss, die wurden in der Region domestiziert, vor 8000 Jahren: „Lange Jahre hat man den Einfluss der präkolumbianischen Völker auf die Wälder, die wir heute sehen, ignoriert“ schließt Levis (Science 325, S. 925).

Megalithe in Rego Grande, Brasilien

7500 Jahre Hochkultur brachen vor 500 Jahren in nichts zusammen, wie das? In Amazonien lässt es sich kaum rekonstruieren, aber auch dort brachten die Konquistadoren wohl nicht nur Waffen mit, die in der Neuen Welt unbekannt waren: Als Cortés 1519 Mexiko überfiel, lebten dort 25 Millionen Azteken. Hundert Jahre später war es eine Million. Paläogenetiker Johannes Krause (Jena) hat den Grund in Zähnen aus der Zeit des großen Sterbens gefunden: (bioRxiv 21. 2.): Dahingerafft wurden die Azteken von Typhus: hoch aggressiven Salmonellen aus Europa.

Was aus der Ferne aussieht wie ein ursprünglicher Urwald, zeigt dem näheren Blick viele Nutzpflanzen, die gesetzt wurden.




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