Samstag, 2. September 2017

In der Zielgeraden.


Die Süddeutsche hat seit Jahr und Tag bei ihren Lesern keinen Zweifel aufkommen lassen, welche Regierung ihr lieber wäre als die gegenwärtige. Doch vor dem morgigen Einlauf in die Zielgerade kann auch sie sich ein realistisches Wort nicht verkneifen.


Wer sagt, Merkel lulle Wähler ein, der misstraut den Wählern

Das Aufeinandertreffen zweier Spitzenkandidaten unter stark ritualisierten Bedingungen wird noch unentschlossenen Wählern einen Eindruck von den handelnden Personen geben. Am ehesten erkennt man dabei Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten, weniger aber zwischen den Grundzügen der von ihnen vertretenen Politik. Im Deutschland der großen Koalitionen ist dies besonders deutlich. Die SPD hat an allem, was Schulz in den vergangenen vier Jahren zu kritisieren hat, mitgewirkt. Mehr noch: Sie trägt mit Ausnahme der schwarz-gelben Jahre zwischen 2009 und 2013 seit 1998 Regierungs- oder Mitregierungsverantwortung. Im Falle Merkels werden viele wählen, was sie kennen. Im Falle der SPD werden viele nicht wählen, was sie kennen.

Weil es nicht so gut um den Spitzenkandidaten Schulz und seine Partei steht, hört man oft, das sei so, weil Merkel die Auseinandersetzung scheue oder die Wähler einlulle. Letzteres ist im Prinzip Wählerbeschimpfung, denn es besagt ja, dass "die Leute" zu dumm oder zu faul seien, sich intensiver mit Politik zu beschäftigen. Wer nicht will, lässt sich nicht einlullen. Und viele, die Merkel als Kanzlerin behalten wollen, tun das nicht, weil sie eingelullt wären, sondern weil sie Merkel mehr vertrauen als Martin Schulz. Das ist das wirkliche Problem der SPD und nicht etwa, wie vielen Fernsehduellen sich Merkel stellt.


Nota. - 'Am ehesten erkennt man dabei Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten, weniger aber zwischen den Grundzügen der von ihnen vertretenen Politik.' Das liegt aber nicht am Format, vergisst die Süddeutsche zu präzisieren, sondern daran, dass eine zu vertretende Politik so sehr unterschiedlich gar nicht sein kann; die mei- sten Unterschiede betreffen Fragen, über die man in der Tat verschiedener Meinung sein kann und die pragma- tisch mit gesundem Menschenverstand zu lösen sein werden. Das ist es, was die Mehrheit der Deutschen Angela Merkel eher zutraut als ihrem aus dem Ärmel gezogenen "Herausforderer". Den werden, da hat die Süddeutsche Recht, so viele Deutsche nicht wählen, weil sie zwar nicht ihn, sehr wohl aber seine Partei kennen.
JE

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