Donnerstag, 7. Dezember 2017

Eine Minderheitsregierung wird doch nicht teurer.


  M. van Reymerswaele
 
Ein dieser Tage aus dem Ärmel gezogenes Argument gegen eine Minderheitsregierung lautet, sie werde viel mehr Geld ausgeben als eine Koalition, weil die Kompromisse nicht bloß intern ausgefeilscht würden, sondern rundum nach allen Seiten. 

Dazu ein Beitrag aus der heutigen FAZ:

... Eine am Donnerstag veröffentlichte Untersuchung des Münchener Ifo-Instituts streut Zweifel daran. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Minderheitsregierung nicht mehr, aber auch nicht weniger ausgibt als eine Mehrheitsregierung. Für ihre Studie untersuchten die Ifo-Wissenschaftler, wie sich die Staatsausgaben und die Schuldenquoten in den Industrienationen im Zeitraum 2009 bis 2016 entwickelt hatten.

Die Daten dazu stellte die Industriestaatenorganisation OECD bereit. 13 der 32 untersuchten Länder wurden in diesem Zeitraum von einer Minderheitsregierung geführt. Höhe und Entwicklung der Staatsschulden hingen demnach nicht davon ab, ob die Regierung immer wieder neu um einen Partner für ihre Projekte werben muss oder nicht.

Das Ergebnis der Ifo-Studie deckt sich mit den Erkenntnissen der Vergangenheit. Auch ältere Studien aus den 1990er Jahren, die unter anderem deutlich längere Zeiträume untersuchten, hätten keine Unterschiede in der Finanzpolitik von Minderheits- und Mehrheitsregierungen feststellen können, erklärt Ifo-Forscher Niklas Potrafke. Einigen Minderheitsregierungen scheine es gut zu gelingen, auch ohne teure Geschenke die richtigen Partner im Parlament für ihre Vorschläge zu gewinnen.

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Martin Schulz hat auf dem heutigen SPD-Parteitag eine programmatische Rede gehalten. Wenn er sich damit durchsetzt und eventuelle Verhandlungen über eine Große Koalition unter diesen Auspizien geführt würden, könnte das die Voraussetzungen deutscher Politik substantiell ändern.

Die Sondierungen zwischen CDU, FDP und Grünen wurden so geführt, wie hierzulande - und freilich überall sonst - seit Jahrzehnten üblich: Spiegelstriche auszählen, die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, rote Linien werden gezogen, um gebogen zu werden, und wenn jeder auf seine Kosten gekommen ist, wird ein Paket geschnürt.

Dass das in diesem Fall scheitern musste, war abzusehen. Man kann nicht länger unten bei den Einzelheiten anfangen und hoffen, dass oben was Gangbares rauskommt. Man muss oben anfangen, ganz oben: Was soll aus Deutschland in Europa werden, was aus Europa in der Welt? Wie Merkel das sieht, hat sie für jeden, den es interessiert, spätestens - es wurde aber auch Zeit - im Verlauf des Jahres 2015 deutlich gemacht, nicht durch reden, sondern durch regieren. Wenn sich Schulz und seine Partei jetzt auch darauf einlassen wollten, wäre das ein Gewinn, der das Versäumen anderer Möglichkeiten, die in Frage kamen, aufwiegt.
JE




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