Montag, 21. Oktober 2013

Ausstellung zur Leipziger Völkerschlacht.

aus NZZ, 20. 10. 2013                                                                    Germania hält die Wacht am Rhein, 1860 gemalt von Lorenz Clasen.

Freiheitsdrang und Hassgesang
Leipzig gedenkt der Völkerschlacht und ihrer Folgen mit einer Ausstellung über «Helden nach Mass»

von Joachim Güntner · Zweihundert Jahre später hat das grosse Gemetzel seinen Schrecken verloren. Kaum ist zu verhindern, dass sich in das ernste Erinnern auch Spektakel mischt. Leipzig 2013 im Banne der Völkerschlacht von 1813 - das bedeutet Ansprache und Podiumsdiskussion, Festgottesdienst und Friedensmusik, Theater und Lichtspiel rund ums Völkerschlachtdenkmal, dazu jede Menge Ausstellungen bis in den Landkreis hinein. Ein monumentales 360-Grad-Panorama zeigt Leipzig nach dem Ende der Kämpfe: Am Horizont stehen die Dörfer in Flammen, die Gassen der Stadt fluten Geschlagene und Gestrandete. Aufruhr und Elend verschmelzen. Eine Zeitreise soll das dem Besucher bieten. Und weil die Sachsen eine närrische Freude an historischer Kostümierung haben, spielen mehr als sechstausend Laiendarsteller an diesem Sonntag in einer Senke des Umlands Krieg wie anno dazumal und stellen Gefechte nach, zum krönenden Beschluss der Gedenkwoche. Die Tribünenplätze für die Show sind längst ausverkauft.

Völkerschlachtbank

Dabei gibt es nichts zu feiern. Ein Leipziger Pfarrer brachte es dieser Tage auf den Punkt. Für Kriege gelte: «Es töten sich Menschen, die sich nicht kennen, im Auftrag von Menschen, die sich zwar kennen, aber nicht töten.» Neunzigtausend Tote forderte die vier Tage währende Völkerschlacht. Fast jeder fünfte Soldat verlor sein Leben. Ein solches Ausmass des Tötens in so kurzer Zeit hatte es in Europa bis dahin nicht gegeben. Nicht gerechnet die an Hunger und Seuchen Verstorbenen, die Verletzten und Verkrüppelten. Allein in Leipzig fand der preussische Arzt Johann Christian Reil Ende Oktober 1813 zwanzigtausend «kranke Krieger aller Nationen» vor, noch alle in blutigen Gewändern, ohne saubere Verbände, ohne Decken und Betten, zum Teil in ihrer eigenen Notdurft faulend. «Ihre Glieder sind, wie nach Vergiftungen, furchtbar angelaufen, brandig und liegen nach allen Richtungen neben den Rümpfen.» - Völkerschlacht? Völkerschlachtbank!

«Helden nach Mass» heisst Leipzigs offizielle, im Stadtgeschichtlichen Museum aufgebaute Jubiläumsausstellung. Die Schau inszeniert kein Schlachtengetümmel, sondern lenkt den Blick auf die Wirkungsgeschichte eines Mythos von damals bis heute. Denn als Höhepunkt und Triumph der antinapoleonischen Befreiungskriege hat die Völkerschlacht Geschichtsbilder gestiftet. Spätere Militärs und Politiker nahmen die Taten und Helden für ihre Zwecke in Beschlag. Historiker deuteten die Kämpfe als Erwachen eines grossen nationalen Freiheitsdrangs des deutschen Volkes.

Damals wurde «Vaterlandsliebe» zum politisch-ideologischen Programm. Der Einzelne sollte zu der Überzeugung gelangen, er sei seiner Heimat die Aufopferung von Leben und Eigentum schuldig. Die allgemeine Wehrpflicht, in Frankreich eine Folge des revolutionären Umsturzes von 1789, wurzelt in Deutschland im Pathos der Befreiungskriege. Preussen führte einen Tag nach der Kriegserklärung an Frankreich am 17. März 1813 die Landwehr ein. Patrioten, nicht Söldner waren gefragt. Freiwilligenverbände wie das Lützowsche Freikorps, vom Dichter Theodor Körner als «Lützows wilde Jagd» besungen, gingen ins populäre Liedgut ein und wurden zur Zugnummer deutscher Männerchöre des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ihrem Titel zum Trotz betreibt die Leipziger Ausstellung keine Heldenverehrung. «Nach Mass» gearbeitet erscheinen ihre Helden, weil sie sich nicht über einen Leisten schlagen lassen, sondern schillernde Figuren bleiben. Kräftige Spuren in einer zweihundertjährigen kollektiven Überlieferung hinterliessen sie alle, auch wenn heute mancher Name verblasst ist. Eine Folge von Kabinetten gliedert die Ausstellung thematisch. Die Stationen tragen Titel wie «Geistige Brandstifter», «Generäle mit Rückgrat» oder «Ikonen der Nation»; sie widmen sich nationalistischen Hasspredigern, die zugleich gegen Tyrannei und Leibeigenschaft wüteten, oder erinnern an mutige Gewissensentscheidungen und entschlossenes Handeln. Auf den Franzosen-Hasser Ernst Moritz Arndt und den als «Turnvater» bekannten, von Marx indes treffend «Turnwüterich» genannten Friedrich Ludwig Jahn folgen weitere Volkstümler und grimmige Patrioten, darunter der schon erwähnte Theodor Körner, ein gefühlvoller Poet, der als Kämpfer in Lützows Korps starb und in der Ausstellung eine Locke zurückgelassen hat.

Reformfreudige Generäle wie der «gelehrte» Scharnhorst, der als «Marschall Vorwärts» verehrte Blücher oder wie Gneisenau, der «Jakobiner in preussischer Uniform», geraten in den Blick. Auch markante Frauengestalten führt Leipzigs Museum vor, etwa die in Berlin kultisch verehrte Königin Luise, die 1807 nach verlorener Schlacht den Usurpator Napoleon erfolglos gebeten hatte, Preussen zu schonen. Mit der Waffe in der Hand zu Felde zog Eleonore Prochaska, die «Jeanne d'Arc von Potsdam». Frauen wie sie waren rar, mussten ihr unziemliches Tun mit Männerkleidung tarnen, und am Geschlechterverhältnis änderten sie nichts. In der Schau steht Prochaska nicht als Exempel für Gleichheit, sondern «für die Flut des Grimms». Dass sie es, wie ein Exponat zeigt, in Gestalt eines freizügig kostümierten Models von heute auch in den Pirelli-Kalender geschafft hat, dürfte freilich kaum der historischen Wahrheitsfindung dienen.

Mit Bogen- und Brückenschlägen zur Wirkungsgeschichte sorgt die Ausstellung dafür, dass das ideelle Erbe der Befreiungskriege fassbar wird. Immer stehen neben Exponaten, welche die Zeit um 1813 illustrieren, solche, in denen sich die Folgen spiegeln. Hartnäckig hält sich das Eiserne Kreuz als Tapferkeitsmedaille bis in die Gegenwart. Aus der Aktion «Gold gab ich für Eisen», bei welcher die Bevölkerung ihren Schmuck spendete, damit Kriegsfreiwillige gegen Napoleon ausgerüstet werden konnten, lernten später auch die Propagandisten des Ersten und Zweiten Weltkriegs, wie man patriotische Opferbereitschaft stimuliert.

In der DDR eine grosse Sache

BRD und DDR bedienten sich der historischen Gestalten auf je eigene Weise. Viele Exponate bezeugen diese Differenz. So vergab die Nationale Front der DDR für patriotische Leistungen eine Ernst-Moritz-Arndt-Medaille (ein Preisträger war der TV-Demagoge und antiwestliche Scharfmacher Karl-Eduard von Schnitzler), was von offizieller Seite in der Bundesrepublik nie gewagt worden wäre. Die DDR verstand sich als legitime Erbin der Freiheitskämpfer und beging das Jubiläum der Völkerschlacht regelmässig mit grossen Feiern. In der Bundesrepublik hatte die Deutung Vorrang, wonach die Befreiungskriege einen nationalistischen Furor entzündeten, mit dem noch die Nazis die Welt in Brand zu setzen vermochten. Heute dient die Völkerschlacht zur Mahnung, wie teuer uns Europas Frieden sein sollte. Aber da es dafür mittlerweile stärkere Menetekel gibt, dürfen in Leipzigs Gedenkwoche auch Gefechtskarneval und sonstige Spektakel nicht zu kurz kommen.

Helden nach Mass. Stadtgeschichtliches Museum, Leipzig. Bis 2. März 2014. Ausführlicher Katalog mit Essays zur Historie. 247 S., € 25.-.

Nota. 

'Völkerschlacht' ist ein zeitgenössischer Ausdruck. Doch bezeichnete er damals nicht (blutsverwandte) Nationen, sondern die vielen beteiligten Staatsvölker: Hessen, Sachsen, Bayern, Preußen; und auch wohl Russen, Österreicher und Franzosen. Aber nicht Franzosen und alle andern standen einander gegenüber, sondern das Gros der Streitkräfte bestand aus - Deutschen. 

Napoleons Grande Armée war auf dem Rückzug aus Russland weitgehend aufgerieben, seine rasch aufgebotenes neues Heer bestand zum weit überweigenden Teil aus Soldaten der mit dem Kaiser verbündeten Rheinbund-Staaten; unausgebildete junge Männer, die den alliierten Heeren nicht wirklich gewachsen waren. In der Hauptsache kämpften in Leipzig Deutsche gegen Deutsche - nicht ganz der Stoff, aus dem nationale Heldenepen gewoben werden.
J.E.

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