Sonntag, 20. Oktober 2013

Chinas Wirtschaft wächst wieder.

aus NZZ, 19. 10. 2013

Erspriessliches aus China
Eine robuste Binnennachfrage und Infrastrukturinvestitionen stärken das Wirtschaftswachstum

Chinas Wirtschaftsleistung ist im dritten Quartal um 7,8 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode gewachsen. Diese Zahlen entsprechen den Erwartungen. Wie lange die Erholung andauert, hängt aber von internen und externen Unsicherheiten ab.

von Markus Ackeret, Peking

Im eher kurzlebigen Geschäft der Marktbeobachter hat China wieder Oberwasser. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 7,8% gegenüber der Vorjahresperiode im dritten Quartal, das am Freitag in Peking vorgestellt wurde, hat die Erwartungen der Prognostiker erfüllt. Das ist auch ein gutes Zeichen für die Weltwirtschaft. Wenngleich die Zahl für die chinesischen Verhältnisse der vergangenen Jahre keine Euphorie auslöst, hat das Wachstum gegenüber dem Vorjahr erstmals seit Jahresbeginn wieder zugelegt. Hatten vor einigen Monaten noch Zweifel darüber bestanden, ob China das Jahresziel von 7,5% erreichen würde, scheint zumindest diese als Untergrenze gedachte Zielgrösse übertroffen zu werden. Davon ist auch Ministerpräsident Li Keqiang überzeugt, wie er dieser Tage sagte.

Mehr Bewegung im Inland

Hinter der leichten Erholung stehen verschiedene Faktoren. Das Wachstum der Industrieproduktion und der Detailhandelsverkäufe war sowohl im September als auch über die gesamten neun Monate dieses Jahres hinweg stabil. Vor allem die robuste Binnennachfrage beeinflusste beide Faktoren positiv, weil die Manufakturbetriebe wieder mehr Bestellungen aus dem Inland erhielten. Die Industrieproduktion wuchs im September um 10,2% gegenüber dem Vorjahresmonat, der Detailhandel um 13,3%. Für die gesamten neun Monate waren die Zahlen leicht niedriger.
 
 

Dass die städtischen Einkommen im Unterschied zum Vorjahr weniger stark anstiegen, wollte der Sprecher des nationalen Statistikamts nicht als beunruhigend verstanden wissen. Noch immer steigen die Löhne real an. Die forcierte Verstädterung könnte seiner Meinung nach neben der allgemeinen Wirtschaftslage eine Erklärung für das bescheidenere Wachstum sein. Wenn Personen aus ländlicher Umgebung zu Städtern werden, bringen sie zunächst ein geringeres Einkommen mit, da das Stadt-Land-Gefälle in China nach wie vor sehr gross ist.
 
Investitionen weiterhin zentral

Auf stabilem Niveau bewegten sich auch die Infrastrukturinvestitionen, die seit langem die treibende Kraft des rasanten chinesischen Wachstums sind. Obwohl es zum Programm der Regierung gehört, ihren Anteil am BIP-Wachstum zu verringern, trugen sie in den ersten neun Monaten 55,8% dazu bei, während der Binnenkonsum 45,9% beisteuerte. Die Zahlen lagen auch schon näher beisammen. Im Sommer hatte die Regierung, aus Sorge über allzu starke Bremsspuren, ein kleines Anreizprogramm für Infrastrukturinvestitionen aufgelegt, das sich vor allem auf den Bau von Eisenbahnlinien und U-Bahnen bezog. Das trug zum neuen Schwung bei. Die Meinungen darüber, ob solche Programme klug seien oder bloss zum Bau weiterer unnützer Infrastruktur beitrügen, sind geteilt. Unter Ökonomen wird auch darüber debattiert, ob nicht ohnehin wegen unzulänglicher Bemessung der Anteil des Konsums an der Wirtschaftsleistung zu gering veranschlagt wird.
 
Erwartete Strukturreformen

Auch jene, die für die Fortsetzung grosszügiger Infrastrukturinvestitionen plädieren, sehen jedoch die Notwendigkeit struktureller Reformen, im Finanzsektor, aber auch im Umgang mit den Staatskonzernen, Eigentumsrechten und dem diskriminierenden Meldewesen («Hukou»-System), das die Binnenmigration behindert. Grosse Erwartungen richten sich deshalb an das bevorstehende November-Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, das konkretere Hinweise auf die Wirtschaftspolitik der seit März amtierenden politischen Führung geben soll. Immer wieder haben der Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang in den vergangenen Monaten bekräftigt, für ein nachhaltigeres Wachstum auch ein gemächlicheres Tempo in Kauf zu nehmen.

Die Wachstumsperspektiven sind nicht nur deshalb von Zurückhaltung geprägt. Auch die externen Faktoren deuten an, dass das BIP im nächsten Quartal nicht mehr ganz so stark wachsen könnte. Die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank haben jüngst unter anderem wegen der sich abzeichnenden Änderung der amerikanischen Geldpolitik und deren Auswirkungen auf die Schwellenländer ihre Wachstumsprognosen für Asien gesenkt. China ist davon indirekt als Handelspartner aufstrebender südostasiatischer Staaten betroffen, die unter Turbulenzen an ihren Finanzmärkten gelitten haben.

Unter Beobachtung in China selbst stehen vor allem das Kreditwesen und der Immobilienmarkt. Im September ist das Kreditvolumen erneut angestiegen, vor allem auch im inoffiziellen Sektor der zum Teil schwer durchschaubaren Anlagevehikel und Trust-Loans. Dieser ist von den offiziellen Banken nicht klar zu trennen. Die Analytiker der UBS sehen im Kreditwachstum noch keine Gefahr, da es zuvor einen Rückgang gegeben hatte. Auch die Entwicklung des Immobilienmarkts, ein sozialpolitisch heikles Thema, beurteilen sie gelassen, obwohl die Verkäufe und damit auch die Preise wieder stärker ansteigen.


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