Dienstag, 19. November 2013

Gibt es vom Wirtschaften eine Wissenschaft?

mariliese, pixelio.de
 
Unter der Überschrift Sie wollen alles vorhersagen nahm sich der regelmäßige wissenschaftstheoretische Kommentator der FAZ, am 5. November die diesjährigen Wirtschaftsnobelpreisträger Fama und Shiller vor. Deren gemeinsame Auszeichnung machte Sensation, denn beide behandeln zwar dasselbe Thema, vertreten aber genau entgegengesetzte Theorien. Die erläutert Derman zunächst, um sich dann der viel allgemeineren Frage zuzuwenden, ob und ggf. inwiefern es vom Wirtschaften überhaupt eine Wissenschaft geben könne.

 
"Fama und Shiller haben Beiträge auf dem Gebiet der Finanzwissenschaft geleistet, einem Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften, das sich auf das Management und die Bewertung von Vermögenswerten konzentriert. Das heißt, dass die Mathematik hier selbstverständlich eine große Rolle spielt. Ich bin deshalb bereit, die Finanzwissenschaft als Wissenschaft zu bezeichnen, auch wenn ich glaube, dass Thomas Kuhns Begriff der Protowissenschaft hier wahrscheinlich angemessener wäre: Eine Protowissenschaft ist keine Pseudowissenschaft wie die Astrologie, ähnelt aber dennoch „in ihren Entwicklungsmustern eher der Philosophie und den Geisteswissenschaften als den etablierten Naturwissenschaften, etwa in der Weise wie die Chemie und die Elektrizitätslehre vor der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts“. Das ist wahrscheinlich eine zutreffende Einordnung der Finanzwissenschaft, die zwar umfangreichen Gebrauch von der mathematischen Syntax der Naturwissenschaften macht, aber eine deutlich geringere Effizienz aufweist."


Bei den Wirtschaftswissenschaften stünden die Dinge aber etwas anders: "Der verstorbene Professor Lionel Robbins hat sie so definiert: 'Die Ökonomie ist die Wissenschaft, die menschliches Verhalten als Verhältnis zwischen Zielen und knappen Mitteln mit alternativen Verwendungsweisen untersucht.' Ich zöge es vor, den Ausdruck 'Wissenschaft' in diesem Satz durch einen Ausdruck wie 'Gebiet' oder 'Feld' zu ersetzen. Ziele und Zwecke werden von Menschen gewählt – das ist eines der letzten Rechte, die uns als Individuen vorbehalten bleiben. Obwohl die Finanzwissenschaft eng mit der Mathematik verbunden ist, sind Ziele und Ökonomie doch untrennbar mit Philosophie und Politik verknüpft. Der traditionelle PPE-Studiengang an britischen Universitäten (Philosophy, Politics, Economics) ist die angemessene Zusammenstellung. Die Ökonomie vermag sich nur als Wissenschaft zu verkleiden, indem sie entweder vorgibt, dass die Ziele offenkundig und universell seien, oder indem sie deren Rolle gänzlich ignoriert."

Zur Verdeutlichng zieht er das Beispiel der exakten experimentellen Disziplinen heran:

"Naturwissenschaft verfährt reduktiv. Sie sucht nach Prinzipien, die das Verhalten beobachteter Systeme kausal erklären. Die auf diesen Prinzipien basierende Technik ist konstruktiv. Sie versucht Geräte und Vorrichtungen zu bauen, die so funktionieren, wie man es beabsichtigt hat. Die mechanische Technik basiert auf den Newtonschen Gesetzen, die Elektrotechnik auf den Maxwellschen Gleichungen usw. Die Naturwissenschaft bietet die Autorität, auf deren Grundlage die Technik vorzugehen vermag."


Warum legt nun aber der Ökonom "solchen Wert darauf, dass die Ökonomie als Wissenschaft gilt? Weil er wie alle, die politische Technologie betreiben, darauf angewiesen ist, dass die Ökonomie als Wissenschaft gilt, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass politische Technologie auf einem gesunden und unwiderleglichen Fundament ruhe. Politische Technologen wie die „Nudgers“ brauchen die Illusion einer geistigen Verbindung zur echten Wissenschaft Newtons, Maxwells, Darwins und Einsteins, um den Universalitätsanspruch der von 'ihnen' für 'andere' entworfenen Politik zu untermauern, obwohl diese Politik keineswegs ideologiefrei ist."
Derman schiließt seinen Beitrag: "Ich fürchte, viele Ökonomen wissen nicht sonderlich viel über echte Wissenschaft und deren Effizienz. Ich habe den Verdacht, dass einige von ihnen zu viel Zeit auf das inzestuöse Spiel mit ökonomischen Modellen verwenden, die sämtlich von zweifelhafter Zuverlässigkeit sind. Ich fürchte, wenn ihre Modelle überhaupt funktionieren, dann nur an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Gemeinschaft und zu einer bestimmten Zeit. Viele Ökonomen haben gar keinen Sinn für die Effizienz von Modellen, weil sie nie ein wirklich erfolgreiches Modell gesehen haben. Ich fände es gut, wenn alle Ökonomen verpflichtet würden, einen Kurs in Newtonscher Mechanik zu belegen, damit sie wissen, was ein wirklich gutes Modell zu leisten vermag, und sich danach Modellen menschlichen Verhaltens mit größter Demut nähern. - Ziele und Zwecke sind nicht universell."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen