Freitag, 15. November 2013

Wie war Kakanien?

aus Die Presse, Wien, 11. 11.2013


Was die Monarchie war 
Eine Konferenz des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung versuchte, einen Überblick über die vielen Meistererzählungen zu gewinnen und die Traditionen miteinander in einen Dialog zu bringen.

Was war die Habsburgermonarchie nun wirklich? Ein Staat, in dem viele Völker zum gegenseitigen Nutzen verbunden waren? Ein Laboratorium für das Zusammenleben? Ein Ausweg aus der Klaustrophobie des Nationalismus? Ein anachronistisches Monstrum, das dem Untergang geweiht war? Ein Völkerkerker? Wenn man die heurige Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG) unter dem Titel „Die Habsburgermonarchie als Gegenstand der modernen Historiographie“ Revue passieren lässt, dann ist eigentlich nur eine Tatsache unstrittig: Dieses Gebilde war vier Jahrhunderte lang die größte Macht in der Mitte Europas.

Jeder Nachfolgestaat hat indes seine eigenen „Narrative“ – Erzählungen über die geschichtlichen Ereignisse, die zu einem Teil der jeweiligen Kultur geworden sind. In Ungarn z.B. fallen diese ganz anders aus als in der Slowakei (wo die Monarchie als Schutz vor einer „Magyarisierung“ gesehen wurde), in Italien wieder ganz anders als in Kroatien (wo die Jahrhunderte der Monarchie als eine Phase der Nationalgeschichte zwischen der mittelalterlichen Staatlichkeit und der Herausbildung der modernen Nation gelten).

Die Habsburgermonarchie sei heute ein „dissonanter Erinnerungsort“, formulierte Peter Haslinger, ein österreichischer Historiker, der in Deutschland (in Marburg und Gießen) forscht. Leitend dabei seien insbesondere „Freund-Feind-Schemata“ aus Zeiten des Ersten Weltkriegs sowie die „regionalistische bzw. separationsnationale“ Geschichtsschreibung. Zudem spielten die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs eine Rolle.

Was die Sache doppelt kompliziert macht: Die Narrative veränderten sich mit der Zeit. Thomas Winkelbauer, als Direktor des IÖG Gastgeber der Tagung, skizzierte das anhand der Entwicklung in Österreich. Er kam dabei auf zumindest acht verschiedene Narrative (mit weiteren Untergliederungen). Zu Beginn der modernen Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert stand die Gesamtstaatsgeschichte (als Vielvölkerstaat) im Vordergrund – um diese zu schreiben wurde 1854 das IÖG gegründet. Dieser Ansatz sei zwar übernational konzipiert, aber dennoch „deutsch imprägniert und stark katholisch unterfüttert“ gewesen, erläutert Winkelbauer. Ab den 1870er-Jahren setzte sich (bei deutschsprachigen Historikern) immer stärker eine gesamtdeutsche Geschichtsauffassung durch.

Der Deutschnationalismus blieb nach dem Zerfall der Monarchie weiter prägend, auch im Ständestaat ab 1933. Allerdings wurde Österreich in Abgrenzung zu (Nazi-)Deutschland als „zweiter deutscher Staat“ propagiert („Wir Österreicher sind die besseren Deutschen“). Viel stärker als zu Beginn der Ersten Republik wurde auf die Monarchie Bezug genommen: 1933 wurde der Doppeladler wieder als Wappen eingeführt (ohne dynastische Symbole, dafür mit zwei Heiligenscheinen). Zudem wurden die Habsburgergesetze aufgehoben.

Sprachenpolitik.  

Zu einem kompletten Bruch kam es 1945: Um sich von jeglicher Mitschuld an den Nazi-Verbrechen reinzuwaschen, setzte sich eine „kleinösterreichische“ Geschichtsauffassung durch („Wir sind keine Deutschen“); die Zeithistorikerin Heidemarie Uhl (ÖAW) hat dafür den Begriff „Externalisierung der Schuld“ geprägt. Heute sieht Winkelbauer eine Vielfalt „postmoderner“ Zugänge zur Habsburgermonarchie: von der Betonung einer zentraleuropäischen Moderne um 1900, die Carl Schorske mit dem Buch „Fin-de-Siècle Vienna“ (1980) ausgelöst hat, bis hin zu aktuellen Zentrums-Peripherie-Modellen.

Von ähnlichen, wenngleich nicht so starken Veränderungen der Narrative berichteten viele der Historiker, die aus zehn Staaten angereist waren. Etwa von Ungarn, das in der kommunistischen Zeit den in den 1950er-Jahren aufkommenden Mitteleuropa-Gedanken attraktiv fand, um sich gegen Sowjetisierung und Einbeziehung in dieses Bündnissystem zu wehren. Oder von einem Wandel in der slowenischen Geschichtsschreibung, die die Monarchie lange Zeit nur in düsteren Farben zeichnete, in letzter Zeit aber auch die Kompromissbereitschaft würdigt.

Bei den Debatten kam man immer wieder auf die Sprachenfrage in der Spätphase der Monarchie. Helmut Rumpler, emeritierter Geschichtsprofessor der Uni Klagenfurt, erzählte bei einer „Wiener Vorlesung“ im Rahmen der Tagung folgende Anekdote, die er für „so lächerlich wie fundamental“ hält: Ein Schalterbeamter auf dem Bahnhof Klagenfurt habe sich geweigert, einem slowenisch sprechenden Kunden Auskunft zu geben und eine Fahrkarte auf Slowenisch auszustellen. Der Fall sei vor dem Reichsgericht gelandet. „Dort ist des Langen und des Breiten von rechtlichen Vorschriften die Rede, die verletzt wurden. Der Witz ist dabei aber, dass in dem Urteil kein einziges Wort darüber steht, dass natürlich der Kunde Deutsch und der Beamte Slowenisch verstanden haben.“

Offene Forschungsfragen. 

Die Sprachenpolitik war seit dem späten 19. Jahrhundert ein steter Stein des Anstoßes: In Cisleithanien waren viele Sprachen offiziell gleichberechtigt (Deutsch war indes die dominierende Verwaltungssprache), in Transleithanien wurde hingegen Ungarisch nach dem „Ausgleich“ von 1867 zur alleinigen Unterrichtssprache. Die Sprachpolitik der anderen Seite sei stets als Argument für die eigene Seite genutzt worden, merkte Haslinger an. Es sei zu einer „Spirale aus negativen Lernprozessen“ gekommen, wodurch die Sprachenfrage verabsolutiert wurde. „Sachargumente entkoppelten sich von den Wahrnehmungen.“

Allerdings wurde gleichzeitig betont, dass man die sprachlichen Differenzen nicht überbewerten solle. Eine große Rolle spiele nämlich auch die sozialen Distanz – in unterschiedlichen Situation seien oft auch verschiedene Sprachen benutzt worden. „Nur weil ein Land einsprachig ist, ist es nicht unbedingt konfliktärmer“, merkte Philipp Ther, Osteuropahistoriker an der Uni Wien, dazu an. Zudem gebe es einen starken Zusammenhang mit der Religion. Hier hatte Haslinger ein schönes Beispiel parat: „Als bei der ersten Volkszählung in der Tschechoslowakei nach der Nationalität gefragt wurde, haben viele Slowaken geantwortet, sie seien Katholiken.“ Wie diese Faktoren zusammenhängen – wie z.B. die Konfession als entscheidendes Identifikationsmerkmal von Sprache bzw. Nationalität abgelöst wurde –, ist eine der vielen offenen Forschungsfragen.

Auffallend ist jedenfalls, dass das Interesse an der Habsburgermonarchie nicht kleiner wird, sondern im Gegenteil zunimmt. „In den letzten zehn bis 15 Jahren boomt die Forschung“, so Winkelbauer. Und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in Staaten, in denen es keine Tradition der Beschäftigung mit dem Gesamtstaat gab. In Tschechien z.B. gab es niemals zuvor mehr einschlägige Geschichtswerke in tschechischer Sprache über die Habsburgermonarchie, wurde berichtet.

Aber auch in Ländern, die nicht Teil der Monarchie waren (etwa USA oder Türkei), steigt das Interesse an der Habsburgermonarchie. Winkelbauer führt das auf zwei Faktoren zurück: erstens auf die Gegenwart der Europäischen Union; man wolle von der Monarchie etwas über Vielvölkerstaat und Multikulturalismus lernen. Und zweitens gilt das Habsburgerreich als exzellentes Untersuchungsobjekt dafür, wie Imperien zerfallen. Ein Thema, das seit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion vielen Forschern unter den Nägeln brennt – wovon sich jedermann bei einem Besuch einer gut sortierten Buchhandlung überzeugen kann.

Das IÖG (Institut für Österreichische Geschichtsforschung) wurden 1854 von der habsburgischen Regierung gegründet und ist bis heute kein Teil der Universität, sondern eine nachgeordnete Dienststelle des Wissenschaftsministeriums (so wie z.B. die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf der Hohen Warte). Drei Viertel der40 Mitarbeiter sind allerdings über die Uni Wien angestellt (und dem ÖIG dienstzugeteilt) oder in FWF-Projekten beschäftigt. Traditionell liegt der Schwerpunkt auf der Edition historischer Quellen – das sind meist Langzeitprojekte. Unter der Leitung von Thomas Winkelbauer (seit 2007 Professor für Österr. Geschichte an der Uni Wien, seit 2010 Direktor des ÖIG) kommen nun mehr kürzere Forschungsprojekte dazu – Schwerpunkte sind das Mittelalter und die Frühe Neuzeit.

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