Dienstag, 14. Januar 2014

Das Ruhrgebiet und seine Energien.

aus NZZ, 14. 1. 2014
 
Im Ruhrgebiet ist nur der Wandel konstant
Die Energiewende stellt Deutschlands grösstes Industriegebiet wieder einmal vor neue Herausforderungen

von Gerd Kolbe, Bonn

Die Berliner Energiepolitik beschert dem Bundesland Nordrhein-Westfalen einen weiteren Strukturwandel. Den grossen Stromkonzernen, einem der Pfeiler der heimischen Wirtschaft, geht es schlecht.

Nach der Bundestagswahl im September hatten die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und die SPD im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Politikern wie Stimmbürgern Rätsel aufgegeben. Die Mehrheit der Genossen in der trotz allen ökonomischen Veränderungen und Verwerfungen immer noch bedeutsamsten deutschen Industrieregion, wurde in die Landeshauptstadt Düsseldorf gemeldet, lehne eine grosse Koalition der Sozialdemokraten mit CDU und CSU in Berlin vehement ab. Das Wahlergebnis von 2009 wirkte nach. Brav und bieder hatten die Genossen vier Jahre lang in Berlin mitregiert. Doch allein Kanzlerin Merkel und die Unionsparteien profitierten davon. Die SPD erzielte ihr schlechtestes Resultat in der Nachkriegsgeschichte. Hannelore Kraft machte aus ihrer Skepsis kein Hehl. Dann kam jedoch alles ganz anders. Auch in dem Land, in dem ein Viertel aller Deutschen sowie aller SPD-Mitglieder lebt, fiel der Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag positiv aus.

 

Braunkohle im Aufwind

Der abrupte Meinungswandel hat sich gelohnt. Kaum eine Region hat so viel Nutzen vom Kurswechsel in Berlin wie das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Denn längst hat dort ein neues Kapitel des seit Jahrzehnten permanenten Strukturwandels begonnen. Steinkohle und Stahl bestimmen längst nicht mehr die ökonomischen Geschicke der Region. Der Automobilkonzern Opel wird zum Jahresende sein Werk in Bochum schliessen. Als Nächste geraten nun die beiden grössten deutschen Energiekonzerne RWE und E.On in Bedrängnis. Schon hat ein spürbarer Personalabbau begonnen. Die Konzerne ziehen die Konsequenzen aus der Energiewende, dem Abschied von der Kernkraft und dem unerwartet raschen Wachstum der alternativen Energien.


Wenn jeder Hausbesitzer zum Stromproduzenten werden kann, kommen die grossen Versorgungsunternehmen nicht mehr auf ihre Kosten. Man kann den Stromriesen nicht einmal vorwerfen, die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Auch die Politik hat sich geirrt. Niemand nämlich hatte vorausgesehen, dass alternative Energien dank üppigen Subventionen, die der Stromverbraucher letztlich durch höhere Abgaben bezahlt, schon jetzt in der Lage sind, bis zu einem Viertel des deutschen Strombedarfs zu decken. Dennoch hat die Produktion von Braunkohle-Strom 2013 mit 162 Milliarden Kilowattstunden fast wieder den Stand von 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung, erreicht. Deutschland ist trotz dem Abschalten von acht Atomkraftwerken immer noch Stromexporteur. 



Das Nachbarland Frankreich rechnet sich immer noch hoch an, mit seinem sauberen Atomstrom die Umwelt zu schonen. Kaum ein Franzose weiss indes, dass in bestimmten Zeiten Strom aus dem rheinischen Braunkohlerevier ins französische Netz fliesst - dann nämlich, wenn den französischen Meilern im Hochsommer das Kühlwasser ausgeht oder in der Vorweihnachtszeit ungewöhnlich hohe Stromspitzen zu bewältigen sind. Noch jeder Manager bei RWE, dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk, pflegt schadenfroh darauf hinzuweisen, wenn anderswo wieder einmal über die CO2-Schleudern westlich und nordwestlich von Köln geschimpft wird. 



Mögen auch von Umweltschutzorganisationen veranlasste Gerichtsverfahren die Baugenehmigungen oft um Jahre verzögern - in Nordrhein-Westfalen gehen immer wieder neue Kraftwerke in Betrieb. Gerade erst hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Kohleabbau im Tagebau Garzweiler II bis zum Jahr 2045 fortgeführt werden darf. Immer weiter fressen sich in einem 48 Quadratkilometer grossen Gebiet nordwestlich von Köln die gigantischen Schaufelbagger ins Land. In einer Tiefe von über 200 Metern entstehen Mondlandschaften, die später wieder aufgefüllt und in Naherholungsgebiete umgewandelt werden sollen. 45 Millionen Tonnen Braunkohle will der Energieriese RWE Power dort fördern. Für wen und für was? Unlängst machte das Gerücht die Runde, aus wirtschaftlichen Gründen werde der Braunkohlebergbau schon früher eingestellt. Die Umweltorganisationen jubelten, und viele der 7500 Einwohner der Dörfer, die dem braunen Gold noch weichen sollen, freuten sich. Der RWE-Konzern dementierte unverzüglich.


Der Anteil des Solar- und Windstroms wird weiter wachsen. Der Bedarf an herkömmlicher Energie wird abnehmen. Schon deswegen ist langfristig nicht auszuschliessen, dass die Braunkohle uninteressant wird. Ihre Förderung setzt Investitionen über lange Zeit voraus. Doch wer will heute schon voraussagen, wie die Versorgungslage im Jahr 2040 aussieht. Die Rolle, die ihr zugedacht ist, kann die Braunkohle nur unzulänglich spielen. Sie soll eine Brücke bilden für die Zeit des Übergangs. Doch Kohlekraftwerke lassen sich nicht einfach abschalten, bloss weil gerade der Wind heftig weht oder die Sonne unentwegt scheint. Sie funktionieren wirtschaftlich nur rund um die Uhr. Schon bald werden die Regierungen in Berlin und Düsseldorf vor der Frage stehen, ob sie mögliche Stillstandszeiten aus staatlichen Mitteln finanzieren wollen. Gaskraftwerke wären ideal, um Zeiten mit hohem Aufkommen an alternativen Energien zu überbrücken. Doch auch hier zögern die Stromversorger. Sie befürchten, dass sich ihre Investitionen nicht lohnen und sie in Zukunft nicht mehr gebraucht werden.


Bei allem darf und kann die Landesregierung nicht übersehen, dass Nordrhein-Westfalen ein Industrieland ist. Die verbliebenen Stahlwerke, stahlverarbeitenden Unternehmen, Chemiefabriken und die Aluminiumbranche brauchen viel Strom. Ihnen wird momentan noch die hohe Ökoabgabe erlassen, die jeder private Verbraucher zusätzlich zum Strompreis entrichten muss. Schon droht Gefahr aus Brüssel. Die EU-Kommission sieht darin eine Subvention, die abgeschafft gehört.

 
Umstrittenes Geschäftsmodell

Der Düsseldorfer Wirtschaftsminister, der Sozialdemokrat Garrelt Duin, unterstreicht bei jeder Gelegenheit, dass man neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch eine solidere Grundlage für die konventionellen Kraftwerke braucht. Die Unternehmen brauchten Planungssicherheit, sagt er. Der bisherige CDU-Fraktions-Chef Karl-Josef Laumann, der als Staatssekretär nach Berlin wechselte, ist schon einen Schritt weiter. Er bestreitet, dass das bisherige Geschäftsmodell Zukunft hat. Es sei Pflicht der Landesregierung, durch kluge Planung die Voraussetzungen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu realisieren. Reiner Priggen, der Fraktionschef des grünen Koalitionspartners in Düsseldorf, empfiehlt dem Versorgungsunternehmen RWE, sich dezentraler und kleinteiliger aufzustellen und von zweistelligen Renditen Abstand zu nehmen. Dadurch indes würden für viele Kommunen, die Aktionäre des RWE-Konzerns sind, bedeutende Einnahmen wegfallen.


Für Kraft wird das Regieren in den Zeiten der Energiewende nicht einfacher. Die grosse Koalition in Berlin hat den Landespolitikern durch eine Verlangsamung des Anpassungsprozesses die Lage etwas erleichtert. Schon jetzt freilich ist absehbar, dass auch in Düsseldorf SPD und CDU sich inhaltlich näherkommen. Dieser Trend könnte sich unter dem neuen CDU-Partei- und -Fraktions-Chef Armin Laschet noch verstärken. Wer sich um die Zukunft von Industriearbeitsplätzen kümmere, meint er, handle genauso ethisch wie der, der höhere CO2-Ziele fordere.



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