Mittwoch, 30. April 2014

Max Weber als Diagnostiker der Moderne.

aus nzz.ch, Freitag, 18. April 2014, 05:30                                                                Schabolowka-Funkturm, Moskau

Entzauberung und Berechenbarkeit Eine der häufig zitierten Wendungen aus dem an zitierfähigen Formulierungen reichen Werk Max Webers ist die von der «Entzauberung der Welt». – Was besagt sie eigentlich des Näheren? 

von Andreas Anter 

Max Weber sagte über sich selbst, er sei «religiös unmusikalisch». Diese Formulierung hat man oft missverstanden. Weber war keineswegs ein Atheist. Pietistisch erzogen, blieb er von der christlichen Religion zeitlebens fasziniert. Diese Faszination erstreckte sich auch auf andere Weltreligionen. Die drei Bände seiner Religionssoziologie zeigen, wie intensiv er sich mit der tiefgreifenden Wirkung der Religion auf die Menschen und die Entwicklung verschiedenster Gesellschaften beschäftigte. Zu seinen wichtigsten religionsgeschichtlichen Diagnosen gehört die «Entzauberung der Welt». Sie gehört überdies zu den populär gewordenen Weber-Formeln, die sich verselbständigt haben.

Im Schwange

Der Begriff «Entzauberung» war keine Erfindung Max Webers, sondern eine zu seiner Zeit bereits geläufige Metapher. Weber griff sie auf und verwendete sie in seinen Studien ab 1911 zur Beschreibung religionsgeschichtlicher Entwicklungen. Anders, als man zunächst meinen könnte, ist der Vorgang der Entzauberung per se keineswegs eine religionsfeindliche Entwicklung. Entzauberung ist für Weber vielmehr ein innerreligiöser Vorgang, der sich allein gegen eine bestimmte Form der religiösen Praxis wendet: die Magie, die Weber als Versuch der «Beeinflussung übersinnlicher Mächte» versteht. Er zeigt detailliert, wie die Magie immer weiter zurückgedrängt wurde. Diese Entwicklung setzte nicht erst in der Moderne ein, sondern begann schon im antiken Judentum, bevor sie sich in der jüdisch-christlichen Tradition entfaltete, sich mit dem hellenistischen Denken verband, um im reformierten Protestantismus schliesslich ihren Höhepunkt und Abschluss zu erreichen.

Die reformierten Protestanten, vor allem Puritaner und Calvinisten, waren die Vollender dieser Entwicklung. Sie bekämpften radikal alle magischen Formen als Aberglauben. Weber bemerkt: «Der echte Puritaner verwarf ja sogar jede Spur von religiösen Zeremonien am Grabe und begrub die ihm Nächststehenden sang- und klanglos, um nur ja keinerlei ‹superstition› . . . aufkommen zu lassen.» Es waren erst die reformierten Protestanten, die nach Webers Befund die Welt radikal «entzauberten» und die Magie vollständig zu eliminieren versuchten. Die Entzauberung war für ihn nicht notwendig mit einer Schwächung der Religion verbunden, im Gegenteil, die religiöse Kraft habe sogar eine neue Qualität auf dem Wege einer strikten Ausrichtung des menschlichen Handelns an Gottes Wort erlangt. Noch heute lässt die reformierte Kirche nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit erkennen, dass eine antimagische Haltung nicht im Widerspruch zu einer strengen Religiosität stehen muss.

In ökonomischer Hinsicht war die alltägliche Lebenspraxis der reformierten Protestanten nicht zuletzt von universalgeschichtlicher Bedeutung. In seiner berühmten Studie «Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» von 1904/05 zeigte Weber, wie die methodisch-rationale Lebensführung und die protestantische Berufsethik mit der ökonomischen Entwicklung korrespondierten. Er diagnostizierte eine «innere Verwandtschaft» zwischen jener Lebensführung, dem rastlosen Streben nach einer «rein auf Gewinn gerichteten Tätigkeit», und dem Geist des Kapitalismus.

Die einmal eingelebten Handlungs- und Einstellungsmuster wirkten nach Webers Befund auch in ihren säkularen Formen weiter. Durch die «Entzauberung» wurde nicht nur die religiöse und wirtschaftliche Entwicklung geprägt, sondern auch die Wissenschaftsentwicklung. Weber demonstrierte in seinem Vortrag «Wissenschaft als Beruf», den er 1917 vor Münchner Studenten hielt, wie die okzidentale Wissenschaft zu einem rationalisierten Betrieb wurde und die zunehmende Entzauberung zu dem Glauben führte, dass es «prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe», dass «man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt.» Dieser Glaube an die Berechenbarkeit der Welt gehört heute mehr denn je zu den Grundlagen des Wissenschaftssystems.

Gegenbewegungen

Heute gilt Weber vielen als eine Art Entzauberungspapst. Dabei stand er dem Prozess der Rationalisierung und Entzauberung, wenngleich er ihn für unabwendbar hielt, eher skeptisch gegenüber. Der Ausdruck «Fortschritt» steht bei ihm meist in Anführungszeichen. Für Weber stellte sich insbesondere die Frage, um welchen Preis jener Prozess erkauft wird und welche Auswirkungen er auf menschliches Handeln und gesellschaftliche Institutionen hat. Seine Bilanz fiel eher gemischt aus. Der Soziologe erhoffte sich jedenfalls keine Freiheitsgewinne, sondern befürchtete vielmehr eine zunehmende Reglementierung und Bevormundung: die Entstehung eines neuen «Gehäuses der Hörigkeit».

In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist der Begriff der Entzauberung weltweit rezipiert worden. Dieser Erfolg beruht zweifellos auch auf der Evidenz einer ebenso prägnanten wie vielseitig adaptierbaren Metaphorik. Man kann sie in der Tat auf die Phänomene der verschiedensten Kulturen anwenden. Heute wird der Begriff der Entzauberung meist als Synonym für den Prozess der Säkularisierung gebraucht, obwohl er diesen weit überschreitet. Kritisch wurde gegen Webers Diagnose eingewandt, dass der Protestantismus gar nicht gegen eine magische Praxis immun gewesen sei, wie die Hexenprozesse gezeigt hätten. Womöglich wird man seine Diagnose also punktuell korrigieren müssen. Allerdings war es Weber selbst, der historische Gegenbewegungen zum Entzauberungsprozess aufgezeigt hat. Dieser provoziere zwangsläufig Gegenreaktionen. Nicht von ungefähr beziehen sich Darstellungen neuerer religionsgeschichtlicher Entwicklungen wie die der «Rückkehr der Religionen» oder die der «Wiederkehr der Götter» auf keinen Geringeren als Max Weber.

Prof. Dr. Andreas Anter lehrt politische Wissenschaft an der Universität Erfurt. 2012 ist sein Buch «Theorien der Macht» erschienen.

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