Samstag, 7. Februar 2015

Über die digitale Revolution hinaus?

aus Süddeutsche.de, 7. Februar 2015, 17:07                                          Schnittstelle Mensch/Computer: Gehirnimplantate


Leben wir bald in einer Welt, in der reiche Menschen sich mit Hilfe moderner Medizin unsterblich machen und Maschinen den Großteil der Bevölkerung ohne Job und Aufgabe zurücklassen? Der israelische Universalhistoriker Yuval Harari behauptet das. Ein Gespräch. 

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Y. Harariri: ...Die meisten großen Veränderungen geschehen, ohne dass die Mehrheit davon etwas mitbekommt. Die Jäger und Sammler saßen vor der landwirtschaftlichen Revolution nicht ums Feuer und stimmten darüber ab, ob sie jetzt Felder bepflanzen und Brunnen bauen sollten. Sie wussten auch nichts von den Konsequenzen, dass durch die steigende Geburtenrate der Einzelne am Ende weniger Nahrung hatte, dass bei einer Dürre plötzlich 40 Prozent der Bevölkerung starben, dass sie bald Leibeigene im Dienste eines Pharaos sein würden. Es waren viele kleine Entscheidungen, ein Prozess von Hunderten von Jahren.

Frage: Ein Zeitraum, der heute unvorstellbar wirkt.

Ja, selbst die industrielle Revolution benötigte noch Generationen, um ihre Wirkung zu entfalten. Heute dauert ein solcher Veränderungsprozess vielleicht20 Jahre. 1850 lebten die meisten Menschen im Delta des chinesischen Yangtze-Flusses und pflügten ihre Felder, während in Manchester und Liverpool die Dampfmaschinen und das Eisenbahnnetz perfektioniert wurden - etwas, was das Leben aller Menschen veränderte. Nationen wie Großbritannien, Japan und Deutschland übernahmen die technologische Führung, der Rest der Welt verstand es zunächst nicht. China benötigte 150 Jahre, um die Industrienationen einzuholen.

Wie groß ist die Gefahr einer ähnlichen Spaltung durch die neuen Hochtechnologien?

Wir werden gewaltige Ungleichheiten erleben. Einige Länder werden die Richtung vorgeben, viele Länder in Afrika und dem Nahen Osten bleiben zurück. Aber auch innerhalb von Nationalstaaten sehen wir bereits, dass die Einkommensungleichheit wächst - jene Kluft, die im Laufe des 20. Jahrhunderts geschlossen schien, reißt jetzt wieder auf. Und ich glaube, dass wir erstmals in unserer Geschichte eine Unterteilung in biologische Kasten sehen könnten - weil Medizin es im 21. Jahrhundert ermöglicht, Menschen ein Upgrade zu verpassen, Fähigkeiten zu entwickeln, die weit jenseits der Norm liegen.

Das klingt gruselig.

Sehen Sie sich schon heute Viagra an, das auch gesunde Männer zur Steigerung ihrer sexuellen Fähigkeiten verwenden; oder Ritalin, dass nicht mehr Konzentrationsmängel behebt, sondern als Lernhilfe genutzt wird. Unter israelischen Studenten gibt es ein regelrechtes Wettrüsten - wenn der Typ neben mir Ritalin benutzt, brauche ich es auch. Und damit beginnt ein Prozess, der den Abstand wachsen lässt zwischen jenen, die sich diese Form der Medizin - das Superritalin - leisten können, und jenen, die zu arm dafür sind. Und das wird für neue Formen der Medizin wie Gehirnimplantate umso mehr gelten.

Was ist mit der Prognose, dass der Zugang zu neuen Technologien größere Teilhabe erlaubt? Wo liegt der Fehler?

Ich weiß nicht, ob die Prognose falsch ist. Ich weise allerdings darauf hin, dass ihr ein Denkmuster in den Strukturen des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts zugrunde liegt, dem Massenzeitalter. Damals profitierten in der Tat unglaublich viele Menschen von der technologischen und medizinische Entwicklung, man betrachte nur die Steigerung der Lebenserwartung zwischen1900 und 2000. Aber dieser Einfluss der Massen ist in der Geschichte der Menschheit nur ein klitzekleines Fenster, und wir können nicht automatisch davon ausgehen, dass er auch im 21. Jahrhundert bestehen bleibt.

Wieso sollte es anders sein? 

Im vergangenen Jahrhundert brauchten die Eliten die Massen, für die Armeen und die Fabriken. Wer eine starke Wirtschaft und eine starke Armee wollte, musste einfachen Arbeitern zumindest Grundbildung, ein Sozial- und Gesundheitssystem geben, in den Wohlstand einer Gesellschaft investieren. Im 21. Jahrhundert braucht kein Land mehr eine große Armee, sie benötigen eine kleine Zahl von Experten und gute Technik. Und auch in der Wirtschaft ist es angesichts hochintelligenter Maschinen und Computer überhaupt noch nicht klar, wer überhaupt noch gebraucht wird.

Die Furcht, dass Maschinen den Menschen ersetzen, gab es bereits in der industriellen Revolution.

Menschen haben zwei Arten von Fähigkeiten, physische und kognitive. In der industriellen Revolution ersetzten Maschinen viele jener Jobs, die physische Fähigkeiten benötigten, konnten aber bei den kognitiven Fertigkeiten nicht mithalten. So entstanden mehr und mehr neue Jobs, die kognitive Fähigkeiten voraussetzten. Nun aber haben wir Maschinen, die immer stärker in kognitiven Dingen mit uns konkurrieren. Aber wir können nicht einfach sagen: Gut, jetzt erledigen die Maschinen auch die kognitiven Aufgaben, dann machen wir eben etwas anderes - denn es gibt sonst nichts. Zumindest können wir noch nichts in dieser Art erkennen. Wenn Maschinen in physischen und kognitiven Aufgaben besser sind, was bleibt uns dann?

Gibt es keine optimistische Interpretation dieser Entwicklung?

Ja, die lautet: Es wird schon etwas entstehen. Nur: Warum sollte das so sein? Wir erleben etwas völlig Neues, die Entkopplung von Intelligenz und Bewusstsein. In der Geschichte der Menschheit gingen Intelligenz und Bewusstsein bislang immer zusammen, die einzigen Wesen mit hoher Intelligenz waren Menschen. Wenn Sie ein Auto fahren, Schach spielen, Terroristen töten oder Krankheiten diagnostizieren wollten, konnten das nur Wesen mit Bewusstsein - Menschen. Jetzt erschaffen wir hochintelligente Maschinen, Computer, die kein Bewusstsein besitzen. Und es ist überhaupt nicht klar, ob es überhaupt noch Dinge gibt, die bewusste Wesen besser als Intelligenz ohne Bewusstsein machen. Die Wahrheit ist, dass wir es nicht wissen. 

Die größte ökonomische Frage des 21. Jahrhunderts ist: Warum benötigst Du Menschen in der Wirtschaft? Die hat sich zuvor noch nie gestellt, denn wer sollte den Weizen ernten oder in den Fabriken arbeiten, wenn nicht Menschen? Eine Antwort auf die Frage lautet also: Wir brauchen Menschen als Produzenten. Wenn das der Fall ist, sind wir in ziemlichen Schwierigkeiten. Die andere, recht amerikanische Antwort lautet: Wir brauchen die Menschen als Konsumenten. In der Praxis wird das bedeuten, dass wir nicht mehr arbeiten werden, sondern nur noch konsumieren, das ist dann unser Job. Die USA entwickelt sich gerade in Richtung dieser Idee, doch es gibt ein Problem: Sie widerspricht jedem ökonomischen Modell in der Geschichte der Menschheit. Du bräuchtest dafür ein neues Modell, das noch nicht existiert.






Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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