Samstag, 14. März 2015

Es wird alles immer besser.

«Faulheit, Angst und Gier haben den Fortschritt der Menschheit ermöglicht» Ian Morris, hier fotografiert anlässlich eines Vortrags an der Universität Zürich.
aus nzz.ch, 14.3.2015, 11:11 Uhr                                                «Faulheit, Angst und Gier haben den Fortschritt der Menschheit ermöglicht»


Ian Morris im Gespräch
«Am Ende setzt sich das Gute durch»

von Peer Teuwsen 

NZZ Geschichte: Herr Morris, Sie haben die letzten 15'000 Jahre der Menschheitsgeschichte erforscht. Gibt es irgendwelche Hinweise, dass wir nicht dem Untergang geweiht sind?

Ian Morris: Nein. Fast jede Art, die auf diesem Planeten je existiert hat, ist irgendwann ausgestorben. Die Menschheit glaubt zwar, es werde sie ewig geben, aber ich muss uns alle enttäuschen: Es gibt keinen Grund, so etwas zu glauben. Wir werden irgendwann verschwinden oder uns in eine andere Art verwandeln.

Warum wissen Sie das?

Ich weiss das natürlich nicht mit Bestimmtheit. Das ist eine Erkenntnis meiner Forschung und meines Schreibens: Man handelt nie mit Sicherheiten, nur mit Wahrscheinlichkeiten.

Wenn man Ihre Bücher liest, bekommt man gute Laune. Sie sind, was die Menschheit anbelangt, ein sehr optimistischer Historiker.

Ja, das bin ich.

Sie sagen, wir lebten in sehr angenehmen, friedlichen Zeiten.

Jede vergangene Epoche der Geschichte war im Vergleich zur unsrigen schrecklich. Die Menschen lebten weniger lang, sie waren ärmer, es gab mehr Krankheiten, mehr Gewalt, mehr Unterdrückung, mehr Unfreiheit. Wir leben also in der besten Zeit, die es je gab. Immer mehr Menschen profitieren vom Wohlstand, es ist noch ein langer Weg, aber die Dinge werden immer besser.

Es war ein sehr langer Weg bis dahin.

Unbedingt. Und etwas ist leider auch wahr: Wenn die Menschheit ein Problem löst, entstehen hundert neue. Nehmen Sie etwa die fossile Energie, welche die industrielle Revolution möglich machte. Jetzt sehen wir, dass daraus ein Klimawandel entsteht, der die Menschheit bedroht. Ja, wir stehen vor grossen Herausforderungen. Aber wir werden sie lösen, das lehrt uns die Geschichte.

Sie haben ein lustiges Menschenbild. Sie sagen, Faulheit, Angst und Gier hätten der Menschheit erst den Fortschritt ermöglicht.

Wir schöpfen als Gemeinschaft unsere Kraft aus diesen drei Charaktereigenschaften, jeder von uns natürlich in unterschiedlicher Art und Weise.

Unterschätzen Sie in Ihrer Analyse nicht die sozialen Fähigkeiten der Menschen, etwa Vertrauen oder Einfühlungsvermögen?

Ich glaube nicht, denn die sozialen Fähigkeiten sind eine Unterkategorie dieser drei Charaktereigenschaften. Aber natürlich sind soziale Fähigkeiten eine grosse Triebfeder für den Fortschritt der Menschheit.

Sie sagen auch, die Menschheit habe ab und an fürchterliche Kriege gebraucht, um weiterzukommen.

Wenn man die Evolution in einen grösseren Zusammenhang stellt, dann muss man zu diesem Schluss kommen. Im Tierreich gebraucht fast jedes Tier Gewalt, um zu bekommen, was es will. Die erfolgreichsten Tiere sind diejenigen, welche das richtige Mass an Gewalt einsetzen. Und so ist es auch bei uns Menschen. Was uns aber von den Tieren unterscheidet, ist unser grosses Hirn, das uns ermöglichte, Kultur zu entwickeln, keine Tierart kann das so wie wir Menschen. Durch die kulturelle Entwicklung konnten wir viel schneller voranschreiten als alle anderen Arten. Als ich Krieg. Wozu er gut ist schrieb, realisierte ich, dass wir Menschen durch den Gebrauch von Gewalt das Ausmass der Gewalt immer weiter verringerten. Das ist das grosse Paradoxon. Wir Menschen haben Gewalt ausgeübt, um immer grössere Gesellschaften zu kreieren, ich nenne sie die Leviathane. Und die Herrscher, fürwahr keine guten Menschen, realisierten mit der Zeit, dass es ihren Gesellschaften besser geht, je friedvoller sie sind.



Meinen Sie das im Ernst? Wozu war denn der Zweite Weltkrieg gut?

Das war eine schreckliche Zeit für die Menschen, die damals gelebt haben. Und doch war die Niederschlagung des Nazi-Regimes die Bedingung für ein friedliches Europa. Für die Europäische Union. Das sind paradoxe Resultate. Aber es gibt natürlich auch eine schlechte Nachricht. Gewalt ist auch heute noch eine Art der Konfliktbewältigung.

Wir haben also die Zeiten des Krieges noch immer nicht hinter uns?

Doch, vielleicht. Es hat sich bei den meisten Regierungen die Einsicht durchgesetzt, dass Krieg nie eine gute Lösung ist. Aber es kann immer noch Herrscher geben, die Fehler machen, die anders denken. Putin ist so ein Beispiel.

Unsere Zivilisation bleibt also eine dünne Decke?

Wenn grosse Systeme zusammenbrechen, bricht die Gewaltwut schnell wieder durch. Schauen Sie etwa das Römische Reich an oder die Welt im Jahre 1914. So etwas kann auch im 21. Jahrhundert wieder passieren. Das Schlimmste, was der Welt passieren könnte, wäre ein Krieg zwischen China und den USA. Ich denke nicht, dass dies passieren wird, aber in der Menschheitsgeschichte sind immer wieder unwahrscheinliche Dinge geschehen.

Warum könnte so ein Krieg geschehen?

In den nächsten fünfzehn Jahren wird China wohl die grösste Wirtschaftsmacht der Welt. Da könnte der Gedanke aufkommen, dass man gewisse Länder, die bis anhin Verbündete der USA sind, auf seine Seite ziehen will, zum Beispiel Taiwan, Japan oder Südkorea. Vielleicht wird sich China denken: Was haben denn die USA und Grossbritannien getan, um die Grenzen der Ukraine zu garantieren, wie sie es 1994 versprochen haben? Nichts. Was werden sie also tun, wenn wir Taiwan unter Druck setzen? Vielleicht auch nichts. Man kann wahrlich nicht sicher sein, dass dies passieren wird, aber trotzdem muss man gewappnet sein. Deshalb braucht es auch weiterhin weltweit starke Streitkräfte.

Sie wurden kritisiert, weil Sie gerade in Ihrem Krieg-Buch die Millionen von Opfern nicht angemessen würdigen. So als seien diese Toten halt der Blutzoll, den die Menschheit für «produktive» Kriege zahlen müsse.

Kriege haben eine friedvollere Erde geschaffen, das ist leider eine Tatsache.

Sind Sie ein kaltherziger Mann?

Ich hoffe nicht. Deshalb habe ich ja auch im Detail gezeigt, was für eine extreme Gewalt in diesen Kriegen angewendet wurde. Aber was gewännen wir, wenn man darüber nicht schreiben würde, nur weil es schrecklich ist? Die meisten Historiker haben sich von Kriegen abgewandt, weil sie so widerlich sind. Ich denke, das ist ein Fehler. Wir müssen verstehen, was Krieg bedeutet.

Ian Morris
Ian Morris, 55, lehrt seit 1995 Geschichte an der Universität von Stanford. Der Althistoriker und Archäologe wurde im englischen Stoke-on-Trent geboren und promovierte in Cambridge. Seine Bestseller «Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden» und «Krieg. Wozu er gut ist» sind auf Deutsch im Campus-Verlag erschienen. Bei Princeton University Press hat er gerade sein neustes Werk publiziert: «Foragers, Farmers, and Fossil Fuels: How Human Values Evolve». Morris unterrichtet auch das Modul «Interkulturelle Kompetenz» im Executive MBA der Universität Zürich.


Nota. - Siebzig Jahre Frieden in Europa, die UNO in New York und die weltweite Anerkennung des Wohlfahrts- staatsprinzips: das zählt auch zu den Folgen des II. Weltkriegs. Die Schlachten gegen die naive Fortschrittsgläubig- keit sind längst geschlagen, die apokalyptischen Popanze sind heut viel virulenter. Unvorhergehene Katastrophen sind - unvorhersehbar. Das, was vorhersehbar ist, ist heute klarer vorhersehbar, und die Mittel, es zu steuern, sind mächtiger denn je. Nach allem, was wir hinter uns haben, gibt es keinen Grund mehr, sich ins Bockshorn jagen zu lassen.
JE




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