Sonntag, 3. Januar 2016

Zukunft der Arbeit: Uns braucht es bald nur noch als Konsumenten.


aus NZZ am Sonntag, 3. 1. 2016

Zukunft der Arbeit
Uns braucht es bald nur noch als Konsumenten
Die Leistung von Computern und Robotern wird in den nächsten Jahren massiv steigen. Jeder zweite Job droht ersetzt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwa Büroangestellte bald durch Computer ersetzt werden, beläuft sich laut einer Studie auf über 90 Prozent.

von Marco Metzler

Taxifahrer, Kassierer und Buchhalter wird es in 20 Jahren als Beruf nicht mehr geben. Eine vielzitierte Studie der Universität Oxford schätzt, dass in 20 Jahren die Hälfte der heute in den USA existierenden Jobs verschwinden wird. An ihre Stelle treten Computer – sei es physisch als Roboter oder unsichtbar als Software. Anders als bisher werden auch gut Qualifizierte betroffen sein. Auch in der Schweiz wird es mehrere 100 000 Arbeitsplätze treffen.

Schon mit der Erfindung der Dampfmaschine 1712 haben Maschinen Menschen ersetzt. Doch bisher wurden immer anderswo genügend neue Jobs geschaffen. Im Zuge der digitalen Revolution streiten sich nun zwei Lager darüber, ob dies auch diesmal gelingt oder ob der rasante Zuwachs an Produktivität durch Computer unseren Kindern Massenarbeitslosigkeit beschert. Erik Brynjolfsson, Ökonom am MIT, hält beides für realistische Szenarien. Welches eintrete, hänge von den Entscheidungen ab, die Politiker, Unternehmer und Arbeitnehmer heute fällten.


Massenarbeitslosigkeit ist bedrohlich. Doch schon seit den 1970er Jahren wird davor gewarnt, dass Computer Jobs wegnehmen. Bis heute ist das nicht geschehen. Der rasante Fortschritt könnte das bald ändern: Seit 50 Jahren verdoppelt sich die Leistung von Computern etwa alle 18 Monate. Diese Gesetzmässigkeit, die Intel-Mitgründer Gordon Moore 1965 beschrieben hat, bewahrheitet sich bis heute. Die Folgen dieser exponentiellen Entwicklung zu verstehen, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Es ist, als würde man auf dem ersten Feld eines Schachbretts ein Weizenkorn setzen und es auf jedem weiteren Feld verdoppeln. Nach 64 Feldern hätte man so viel Weizen, dass der Abtransport 100 Mrd. Lastwagen brauchte. Bei der Leistung von Computerchips wurde die Hälfte des Schachbretts 2006 erreicht. Rasant steigende Zahlen treten aber erst in der zweiten Hälfte auf. Das spürt man heute schon: Smartphones gibt es erst seit 2007. Autonome Fahrzeuge fahren in Kalifornien oder Sitten. Und die künstliche Intelligenz macht so rasant Fortschritte, dass der Physiker Stephen Hawking und der Unternehmer Elon Musk vor einem Jahr davor warnten, dass man die Kontrolle darüber zu verlieren drohe. «Es kommt eine Zeit, in der das, was war, nicht länger ein verlässlicher Leitfaden ist, für das, was kommt», schreibt Brynjolfsson im Bestseller «The Second Machine Age». 



Früher ersetzten Maschinen Muskelkraft, heute geistige Fähigkeiten. Neuerdings beherrschen Computer nicht mehr nur repetitive, einfache Tätigkeiten, sondern immer komplexere. Sie erkennen Muster besser als Menschen. Firmen, die nicht alle Prozesse digitalisieren, bleiben auf der Strecke. Das bereitet Sorgen: Die digitale industrielle Revolution wird auch am WEF in Davos in zweieinhalb Wochen das Hauptthema sein. Jobs sind gleich von mehreren Treibern bedroht:

Roboter-Kollegen: Baxter von Rethink Robotics oder Yumi von ABB arbeiten eng mit Menschen zusammen. Das steigert die Produktivität jedes einzelnen – auch in KMU.

Datenanalyse: Der Computer Watson von IBM erkennt Sprache und Bilder. Er macht unstrukturierte Datenbestände – wie E-Mails, Studien, Gesundheitsdaten – einfach zugänglich. Das kann Callcenter-Agenten oder Anlageberater ersetzen. Watson hilft Röntgenärzten, Mammografien auszuwerten. Der Rückversicherer Swiss Re setzt als erste Schweizer Firma Watson ein. Er soll Risiken einschätzen oder Schäden beurteilen. Jobs wie Underwriter sind keine Lebensstelle mehr.

Supercomputer: Im Video führte IBM jüngst den Supercomputer Celia vor: Ein Manager einer Energiefirma steht allein vor einer interaktiven Videowand. Ein Hurrikan zieht auf. Der Manager fragt Celia, welche Anlagen davon am stärksten betroffen seien. Sekunden später hat sie diese anhand von Wetterdaten nach Schadenswahrscheinlichkeit geordnet. «Was sind mögliche Massnahmen?» Celia schlägt Optionen vor und begründet sie. Der Manager wählt eine, Celia verschickt Aufträge. Ein mehrköpfiges Team hätte dafür Tage gebraucht. IBM arbeitet mit der Erdölfirma Repsol an einem Pilotprojekt.

Maschinelles Lernen: Computer sind heute lernfähig. Sie leiten aus unstrukturierten Inputs Regeln ab und müssen nicht mehr programmiert werden. Da viele Leute am PC arbeiten, könnte dieser künftig mit allen Arbeitsinputs und -outputs trainiert werden. Ist er irgendwann gut genug, übernimmt er 80% der Aufgaben. Menschen braucht es nur noch für die restlichen 20%. Google Translate wurde mit vielsprachigen Texten gefüttert und hat sich Übersetzen selbst beigebracht. Für das Verständnis der meisten Texte reicht das völlig. Übersetzer erhalten nur noch die anspruchsvollen Aufträge.

Outsourcing: Heute verlagern Firmen einfachere Tätigkeiten an spezialisierte Dienstleister in Osteuropa und Asien. Werden die Aufgaben automatisiert, müssen diese Firmen komplexere Aufgaben zu akquirieren versuchen. In der Folge dürften vermehrt auch gutbezahlte Jobs in Billigländer abwandern.

Schnittstellen: Die Uber-App hat eine IT-Schnittstelle zwischen Kunden und Taxifahrern geschaffen. Das Prinzip ist auch innerhalb von Firmen denkbar: Der CEO gibt einen Auftrag in eine App, und interne oder externe Mitarbeiter erhalten diesen elektronisch. Das mittlere Management wird überflüssig.

Substitution: Jobs, die auf zwischenmenschliche Beziehungen, guten Kundenservice oder Kreativität setzen, werden auch künftig kaum durch Computer ersetzt. Dennoch könnten sie durch einen Onlinedienst substituiert werden. Roboter können in Reisebüros nicht beraten, und dennoch buchen Kunden heute meist online.

In der Automatisierung wird Arbeit durch Kapital ersetzt. Brynjolfsson glaubt, dass dies zu Konflikten führen wird. Berufe wie Taxifahrer oder Verkäufer bildeten bisher ein Auffangbecken für wenig Qualifizierte. Doch diesmal trifft es auch gut Ausgebildete. Der Medianlohn sinkt in den USA seit Jahrzehnten. Das könnte sich beschleunigen. Dass die Automatisierung die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen wird, glaubt auch Martin Ford, Autor von «Rise of the Robots», das soeben von «Financial Times» und McKinsey zum Wirtschaftsbuch des Jahres gekürt wurde. Sowohl Ford wie Brynjolfsson schlagen ein bedingungsloses Grundeinkommen vor, um die negativen Folgen der Automatisierung abzufedern. Denn der Abstieg der Mittelschicht schafft ein neues Problem: Wenn Millionen von Konsumenten fehlen, kauft niemand mehr die von Robotern gefertigten Produkte.

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