Mittwoch, 6. Januar 2016

Zwei Instanzen für Herz und Verstand.

Allegorie auf Kunst und Wissenschaft, Süddeutschland um 1600

"Dass Die Kunst im Abendland seit der Renaissance eine gesellschaftliche Instanz geworden ist, ebenso und zur selben Zeit wie auf dem Gegenpol Die Wissenschaft, ist ein kulturgeschichtliches Faktum, das kein Laie bestreiten wird, und wie die Akteure der Wissenschaft sind die Akteure der Kunst zu einem gesellschaftlich, nämlich durch den Markt bestimmten Stand geworden."*

Das ist eine der vielen Besonderheiten der abendländischen Kultur, für die es anderweitig keine Parallelen gibt. Es ist aber auch eine Besonderheit der Neuzeit. Sie datiert, grob gesagt, seit dem 16. Jahrhundert: seit dem Beginn dessen, was wir unsere Aufklärung nennen.

Haben sich beide Pole gemeinsam aus dem Nichts entwickelt? Haben sie ihre – womöglich einen gemeinsamen – Vorläufer? Oder anders: Was musste geschehen, damit sie entstehen konnten? 

Geschehen ist im 16. Jahrhundert der Zerfall der einen allein selig machenden Kirche. Die Reformation hat den Glauben zersetzt und zu einer Angelegenheit des persönlichen Bekenntnisses werden lassen. Die Römische Kirche war, wie die Ostkirche,** nicht einfach eine Institution (neben anderen), sondern eine gesellschaftliche Instanz, die wie die weltliche Macht über dem agrarisch-kleinbürgerlichen Alltag stand. Was an Geschmacksbildung, was an Wissen, was an Kult geschah, kurz: Herz und Verstand unterstanden ihrer Hoheit. Der Adel war zunächst nur fürs Kriegfüh-ren und Erobern zuständig. Erst mit dem Abschluss der Landnahme und der Stabilisierung der feudalen Ordnung entstand eine höfische Kultur, die an den ländlichen Adelssitzen mit den Bischofsstädten und Ordensburgen riva-lisieren konnte – während zugleich die Kirche zu einem weltlichen Feudalherrn aufwuchs. Ein jeder Christenmensch lebte im Bewusstsein, jederzeit zwei legitimen Herrn zu dienen.

Was nicht Krieg, Ackerbau, Handwerk und Handel war, was immer über den Tageshorizont hinauswies, unterlag bis zur Reformation kirchlicher Wegweisung. Als sich dann die rivalisierenden reformierten und gegenreformierten Kir-chen gegeneinander in den Schutz der weltlichen Herrschaft duckten, wurde eine – nein, wurden wenigstens zwei Stellen frei, für deren Besetzung die eben entstehende bürgerliche Gesellschaft selbst zu sorgen hatte: für das Herz die Kunst, für den Verstand die Wissenschaft, beide erhaben über den Alltagsgeschäften; während die weltliche Macht immer mehr als deren Störer und Hindernis erschien. Zwei Instanzen als Quell gesellschaftlicher Legitimität; doch diesmal eine immer nur auf Kosten der andern.

*) aus Kunst als gesellschaftliche Instanz.

**) Aber die wurde nie zum Rivalen ihres Kaisers, und auch der Moskauer Patriarch blieb stets ein Diener des Zaren. Das war ein wesentlicher Unterschied zum feudalen Westen; sie wurden (daher?) auch nicht (gegen-)reformiert.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen