Dienstag, 23. Februar 2016

Wie sich das Christentum durchgesetzt hat.

Kaiser Konstantin (r.) vor Papst Silvester I. 
aus Badische Zeitung, 17. 2. 2016

Mehr Kreuz als Krippe
"Ein neuer Gott für die alte Welt" – Manfred Clauss hat die Geschichte des frühen Christentums erforscht.

von Christine Adam

Da sollte man sich nichts vormachen: Die Frühgeschichte des Christentums, dieser Religion mit dem Potenzial der Nächstenliebe und der Friedfertigkeit, ist eine Geschichte der Gewalt, der gegenseitigen Abgrenzung, des Sieges des Stärkeren. Aus der Perspektive des Historikers ist da mehr Kreuz als Krippe. Manfred Clauss, dieser Antikenspezialist, attestiert sogar dem direkten Umfeld des jüdischen Wanderpredigers Jesus einen Modus der Aggressionsbereitschaft. Zum Hintergrund der Bibeltexte trägt der emeritierte Frankfurter Professor gleichwohl nichts wirklich Neues bei – die Datierung von Christi Geburt im Lukas-Evangelium ist interessengeleitet, die Apostelgeschichte zeichnet ein allzu perfektes Paulus-Bild. Doch weil bei den Glaubenstexten des Neuen Testaments, den Erzählungen über den Beginn des Christentums aus einer jüdischen Sekte, mit der ihnen eigenen Mischung von Historizität, Traditionen und Kalkül spätere Konflikte angelegt sind, ist hier der analytische Blick vonnöten.

Es geht schließlich um Religion, und um die wurde mit Leidenschaft gefochten. Und zwar im Wortsinn. Oftmals scheint es, als sei "Kampf" das Lieblingswort des Autors. Wobei der Mensch im antiken Imperium Romanum, der vorchristliche Heide, das Thema angesichts eines Großangebots an Göttern und Kulten entspannter sehen konnte, solange dem Kaiserkult mit den entsprechenden Opfern Genüge getan wurde. Dem setzten die Christen ihren ausschließlichen Wahrheitsanspruch entgegen. Clauss diagnostiziert gar eine "Inflation des Wahren". In der heute gebräuchlichen Fassung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses wird Christus als "wahrer Gott vom wahren Gott" bezeichnet. Spätestens als dann über das Diasporajudentum hinausgehend die Heidenmission einsetzte, konnte die anfänglich apodiktische Abgrenzung gegenüber dem Aberglauben nicht durchgehalten werden.

Der Wissenschaftler dechiffriert die christliche Religion, wenn er zeigt, wie Denkstrukturen übernommen, Heidnisches christlich besetzt wurde. Der als Sonnengott verehrte Kaiser Konstantin, der den christlichen Gemeinden ein Körperschaftsrecht zugestand – Manfred Clauss spricht von privilegierten Vereinen – definierte im Jahr 321 den Sonnentag als gesetzlichen Ruhetag. Christus als Sonne der Gerechtigkeit – dieses Sprachbild und unser Sonntag gehen auf die antike Sonnenverehrung zurück. Der Begriff des Opfers, die Vorstellung vom Himmel als Ort der unsterblichen Seele: Der ebenfalls als Theologe profilierte Autor sieht die Annäherung ans Heidentum jedenfalls positiv, denn sie "erweiterte die Möglichkeiten christlicher Existenz".

Auch für den Althistoriker gilt die Feststellung "Only bad news are good news", denn vor allem Meinungsver-schiedenheiten, Konflikte evozierten das Schrifttum. Und die heidnische wie die christliche Bildungselite der Spätantike waren ebenso streitbare wie schreibfreudige Zeitgenossen. Das fokussiert den Blick auf die Durch-setzungsprozesse, seien sie nun diskursiver oder militärischer Art, gegen Heiden oder andersdenkende Christen. Clauss wuchert im Buch mit dem Pfund seiner immensen Kenntnis der antiken Texte, lässt den Leser daran teilhaben. Er geht dabei nicht immer chronologisch vor – statt mancher ausführlichen Zitate würden mannhaft zusammenfassende Sätze die Lektüre mitunter erleichtern.

Der Leser wird in die Welt des frühen Christentums mit ihren Idealen der Askese und Keuschheit hineinge-nommen. Auf dass die Frauen die Sittlichkeit der Männer nicht gefährdeten, hatten sie sich in der Gemeinde zu verschleiern. Sittsamen Jungfrauen war der bessere Platz im Himmel verheißen – nur noch die Märtyrer konnten sie übertreffen. Wobei Clauss die Christenverfolgungen durch den römischen Staat mit dem Argument der in den Quellen genannten Zahlen schlichtweg zum Mythos, ja zur Geschichtsfälschung erklärt. Doch es gab eben auch so jenseitssüchtige wie -hysterische Zeitgenossen, die sich aus freien Stücken beim Statthalter als Christen anzeigten, um sich dann in der Arena von wilden Tieren ins Paradies befördern zu lassen. Zur Marotte gerät die Suggestion, just Christen hätten den Brand Roms im Jahr 64 gelegt. Hier argumentiert der ansonsten so penible Historiker mit der Feuer- und Brandmetaphorik theologischer Texte.

Das Buch erzählt die Durchsetzung des Christentums mit den Mitteln von Politik und Gewalt zur Mehrheitsreligion am Ende des römischen Reiches. Die christlichen Kaiser fürchteten bei religiösen Streitigkeiten die Gefahr des öffentlichen Aufruhrs. Häretiker wurden kriminalisiert. Die Dynamik der trinitarischen und christologischen Kontroversen unter Konstantin oder später im Osten des Reiches interessiert den Verfasser in ihrem Zusammenwirken mit der herrschenden Macht. Die theologischen Diskussionen mit den ihnen – auch vergebenen – inhärenten Chancen hätten durchaus einen anderen Blickwinkel verdient.

Mit der zunehmenden Etablierung des Christentums als Reichsreligion ging die Bekämpfung der heidnischen Kulte einher. Ende des vierten Jahrhunderts begannen tätliche Angriffe auf heidnische Tempel, die Vernichtungswut steigerte sich in eine bis dahin menschheitsgeschichtlich einmalige "Orgie der Zerstörung", wie Clauss urteilt. Auch jüdische Synagogen wurden verwüstet, der Antijudaismus wurde zum christlichen Konsens.

In Sachen Toleranz hat die Äußerung eines – christlichen – Andersdenkenden allerdings nichts an Aktualität eingebüßt: "Warum erlaubt ihr nicht, dass jeder seinem freien Willen folgt, da doch Gott der Herr selbst den Menschen den freien Willen gegeben hat?"

Manfred Clauss: Ein neuer Gott für die alte Welt. Die Geschichte des frühen Christentums. Verlag Rowohlt, Berlin 2015. 544 Seiten, 34,95 Euro.


Nota. - Wieso Konstantin das Christentum anstelle des Sol-invictus-Kults zur römischen Staatsreligion erhoben hat, mag ewig unklar bleiben: Es ist kein wirklich historisches Thema. Ein historische Problem ist vielmehr, wie und wieso es sich im ganzen Reich, von Ost nach West, als solches durchsetzen konnte; und sich auch noch die germanischen Völker unterwarf, die seine Trümmer einsammelten! Ob das Buch zu dieser Frage etwas beiträgt, erfahren wir von der Rezensentin nicht.

Ihr sei übrigens geraten, an ihrem Schreibstil zu arbeiten. Schlichter ist besser, zumal in einer Tageszeitung.
JE

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