Samstag, 9. April 2016

Links und rechts.




Die Unterscheidung der politischen Parteien nach Rechts und Links geht auf die Sitzordnung in den Parlamenten zurück.

Im britischen Unterhaus sitzt noch immer die jeweilige Regierung rechts vom Speaker, ihrer Majestät loyale Opposition sitzt links, und wechseln einander ab. Im Konvent der franzöischen Revolution saßen die Jakobiner oben auf dem Berg, unten die gemäßigt Gironde, dazwischen le Marais, der Sumpf.

Erst in der „unauffindbaren“ Deputiertenkammer unter Ludwig dem XVIII. saßen die Volksvertreter der Regierung gegenüber. Die Sitzordnung war bestimmt von den äußersten Polen her. Rechts die Parteigänger der bourbonischen Restauration, links die verbliebenen Sympathisanten der Revolution. In der Mitte die Partei des Sowohl-als-auch, einerseits-andererseits und von-allem-ein-Bisschen.

Erst im Parlament des Bürgerkönigs Louis Philippe beanspruchte die Mitte ein eigenes Profil, das juste milieu, von Anbeginn ein Gespött. Wo ihr Platz war, bestimmten weiterhin die Extreme; rechts die royalistisch Legitimisten, links jene, die der Revolution treu bleiben wollten. Dazwischen das Programm des Status quo.

Nach der Revolution von 1848 erhob sich die Mitte als Bonapartismus „über die Parteien“: rechts weiterhin die Legitimisten, links die Anhänger der Roten Revolution, die sich in der Juniinsurrektion formiert hatten. Der allen gemeinsame Bezugspunkt verlagerte sich seither ganz auf die Linke, die Partei des Proletariats; ab da die verschiedenen Abschattungen der Mäßigung – bis ganz nach rechts, wo die entschiedene Konterrevolution ihren Platz hatte.

Die Pariser Kommue machte die Anordnung kanonisch. Auch im neuen deutschen Reichstag saßen die sozialdemokratischen Verteidiger der Kommune ganz links, in der Mitte die – wechselnde – Mehrheit, die dem preußischen Bonaparte Bismarck huldigte, der sich von den reaktionären Ultramontanen einerseits und den ostelbischen Agrariern bald abzusetzen wusste.

Mit der Oktoberrevolution wurde restlos klar: Auf der Linken die Partei der Weltrevolution, ab da alle ihre Gegner. Die Rechte hat keinen eigenen Definitionsgrund mehr, sie ist lediglich die Negation der Linken.

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Spätestens mit dem Jahhr 1990 ist die Revolution als Option verschwunden. Was links sein soll, lässt sich nicht mehr aus eigenem Grund definieren. Es ist nur noch das, was neben der Mitte sitzt. Denn was ganz rechts sein würde, hat inzwischen einen eigenen Bezugspunkt: keine Rückkehr zu einem historisch legitimierten Status quo ante, sondern die Errichtung einer faschistischen Neuen Ordnung ohne Parlamente – aus denen sie weitgehehnd ferngehalten wird. Sie gilt als illegitim und kommt als Orientierungspol nicht mehr in Frage.

Erst seither ist die Mitte zum Bezugspunkt der Flügel geworden, statt dass die jeweils äußeren Ränder bestimmen würden, wo die Mitte ist. Sie müsste sich programmatisch selbst bestimmen. Einst lag die Mitte zwischen der Revolution und der Erhaltung der Ordnung. Links war die Auflösung, rechts die Bewahrung überkommener Strukturen. Die Linke war fortschrittlich, konservativ die Rechte.

Die bürgerliche Gesellschaft war selber nicht konservativ, sie war selber die Auflösung aller vorgefundenen Strukturen in der Dynamik der Kapitalverwertung. Der Erhaltung der Ordnung um jeden Preis verschriebg sie sich erst angesichts der drohenden Revolution. Diese Bedrohung ist nun hinfällig. Die gegebenen Strukturen sind wieder, was sie ‚von Natur‘ immer waren: Schranken für die gesellschaftliche Dynamik; zum Beispiel – und vor allen andern – die Nationalstaaten.

Konservativ ist nunmehr nicht die Einschränkung der gesellschaftlichen Dynamik in engstmögliche Grenzen, sondern die Bewahrung des gesellschaftlichen Gleichgewichts als Bedingung der Dynamik.

Immer werden die einen mehr auf die Bewahrung des Gleichgewichts, die andern mehr auf die Entfaltung der Dynamik absehen. Die einen werden sich selber weiterhin links nennen und die anderen neoliberal. Das ist anachronistisch und wird sich nach und nach verlieren. Aber verschiedene ‚Sensibilitäten‘ wird es immer geben, nur sind sie nun graduell und nicht länger weltanschauliche Alternativen. Ob im gegebenen Moment mehr Gleichgewicht oder mehr Dynamik angezeigt ist, lässt sich nicht aus Begriffen deduzieren, sondern muss jeweils im Sichtflug ausprobiert werden. Rationelle Politik ist nunmehr pragmatisch. Sie hat einen Namen und ein aussdrucksstarkes Gesicht: Angela Merkel.

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Doch ganz müssen wir auf Begriffe gottlob nicht verzichten. Die proletarische Weltrevolution ist ausgeblieben. Denn ausgeblieben ist auch der ökonomische Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaftsweise. In der Erwartung der historischen Linken hätte die Konzentration des Kapitals an einen Punkt führen müssen, wo der schwindelererregend angewachsenen Mehrwertrate auf der einen Seite auf der andern Seite eine schrumpfende Profitrate entgegestehen würde. Der technische Fortschritt musste das fixe Kapital so zusammenballen, dass neuentstehendes Kapital sich nicht mehr verwerten könnte und brach liegenblieb. Die Produktionskräfte hätten ‚aufgehört zu wachsen‘.

Das Gegenteil ist eingetreten. Die digitale Revolution hat die Produktivkräfte explosionsartig anwachsen lassen, wie es in keiner Science Fiction vorhergesehen wurde. Sie hat einen Begriff, der opportunistisches Wursteln in den nächsten Tag hinein unnötig macht: Es ist die Ersetzung der lebendigen Arbeit durch maschinelle Intelligenz.

Die Ersetzung von körperlicher Arbeit durch Maschinen war das Prinzip der ersten industriellen Revolution. Neu ist, dass die Ingenieure durch ihre Erfindungen nicht nur die Handarbeiter überflüssig machen, sondern auch sich selbst. Entwerfen und Organisieren nach vorgegebenen Zwecken werden die Maschinen bald besser machen als lebendige Technologen. Den Menschen bleibt am Ende als Arbeit nur übrig, neue Zwecke vorzugeben.

Einsparen von Arbeitszeit war das Gesetz der industriellen Entwicklung. Aber Einsparung von Zeit, um neue Arbeitszeit daraus zu machen. Die digitale Revolution bringt diese Entwicklung zu ihrem Anschluss: einsparen von Arbeitszeit, um freie Zeit zu schaffen.

Das ist die Dynamik, unter der es ein gesellschaftliches Gleichgewicht zu wahren gilt. Immer weniger Arbeit für immer weniger Menschen – ein Menschheitstraum will wahr werden! Ein Horrortraum droht: täglich wachsende Arbeitslosigkeit ohne Aussicht auf ein Ende.

Links werden sich dann die nennen, die ‚Arbeit erhalten‘ wollen; neoliberal werden die heißen, die ‚Arbeit freisetzen‘ und Freizeit schaffen wollen.

Die Auflösung dieses Gegensatzes wäre das Programm eines BedarfsunabhängigenGrundeinkommens. Darauf müssten sich die Linken wie die Neoliberalen der Sache nach – wenn auch über die Wörter wieder heiß gestritten wird – eigentlich leicht verständigen können: die einen als eine Art generalisierter Grundsicherung alias Hartz IV/4.0; die andern als die endlich ermöglichte freie Entfaltung der Persönlichkeit. Im Detail werden dann die einen das BGE lieber ein bisschen höher ansetzen wollen, um das Gleichgewicht zu wahren, die andern etwas niedriger, um mehr Dynamik zu riskieren. Es wird aber, wenn auch weiter so getan wird, keine weltanschauliche, sondern bloß ein pragmatische Frage sein; man wird sich schließlich in der Mitte entgegenkommen.

Als ideologische Spinner dürften allein die Doktrinäre des Eigentums übrigbleiben. Keine Konservativen – keine Dynamik und kein Gleichgewicht! –, sondern verschrumpelte Reaktionäre. Sie werden vielleich in der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Unterschlupf suchen.

Doch in der Schweiz wird inzwischen auch schon über ein Bedarfsunabhängiges Grundeinkommen diskutiert.




















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