Mittwoch, 7. September 2016

Grenzen der künstlichen Intelligenz?

aus nzz.ch, 7.9.2016, 07:00 Uhr

Euphorie der Anleger
Grenzen der künstlichen Intelligenz
Die Fortschritte in der Anwendung von künstlicher Intelligenz haben zu einer Euphorie an der Wall Street geführt. Doch was kann die hochgelobte Technologie wirklich?

von Krim Delko, San Francisco 

Warum überhaupt «künstliche» Intelligenz? Man könnte das Wort «künstlich» doch gleich weglassen. Warum noch einen Unterschied machen zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz, wenn die beiden Bereiche doch zusehends verschmelzen? Der Vorschlag ist dieser Tage im Silicon Valley oft zu hören. Manchmal als Scherz und manchmal auch als Zeichen einer an Besessenheit grenzenden Überzeugung, dass die Informatikbranche das Problem von Intelligenz gelöst hat.

Die technischen Fortschritte der letzten Jahre sind tatsächlich enorm. Beispiele wie die Texterkennung bei Google, dessen Algorithmen sowohl den Suchbegriff voraussagen als auch die Rechtschreibung mehrsprachig korrigieren, oder die Bilderkennung von Facebook, wo Porträts von Freunden mit Namen gepaart werden, waren vor wenigen Jahren noch undenkbar. Auch das selbstfahrende Auto von Tesla ist bemerkenswert, wenn auch jüngst kontrovers, zumal es zu Unfällen gekommen ist. Doch die Fortschritte als Lösung des Intelligenzproblems darzustellen, ist arrogant und sogar gefährlich. So sehen es auch führende Figuren aus Akademie und Wirtschaft im Silicon Valley. Sie warnen vor zu viel Euphorie.

Die richtigen Fragen stellen


Ziv Aviramon, Ofer Maharshak und  Amnon Shashu beim Börsengang von Mobileye am 1. August 2014. 

Amnon Shashua, Mitgründer von Mobileye, einem Softwareunternehmen im Bereich der Computervision, hat das Problem jüngst sehr gut zusammengefasst. Mobileye entwickelt Algorithmen und Halbleiter, die zur Computervision durch Kameras benutzt werden und in vielen Autos bereits kommerziell verfügbar sind. Mobileye ist unter anderem auch zuständig für die kameragesteuerte Positionserkennung von Tesla-Autos. 

Shashua hat auf Fragen zu den Tesla-Unfällen geantwortet, es sei eben nicht genug, den Fahrer bloss zur Vorsicht zu mahnen, man müsse klarmachen, warum das sehr wichtig sei. Das Warum werde leider in der Diskussion um künstliche Intelligenz oft vernachlässigt.


Problematisch ist das nicht nur im Ernstfall auf der Strasse, sondern auch bei Anlegern an der Wall Street. Diese lassen sich oft von der Euphorie mitreissen, ohne Details und Grenzen einer Technologie genauer zu studieren. Im Grunde basieren die Algorithmen bei dem selbstfahrenden Auto, der Google-Suchmaschine oder der Facebook-Bilderkennung alle auf demselben Prinzip: der statistischen Analyse von Daten. Die Software ermittelt dabei Wahrscheinlichkeiten von möglichen Ereignissen und verhält sich dementsprechend. Wenn man zum Beispiel das Wort «Olympics» in die Google-Suchbox eingibt, dann errechnen die Algorithmen aus ähnlichen zuvor getätigten Sucheingaben, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass man nach «Rio Olympics 2016» sucht. In Fällen wie diesen, wenn viele Benutzer dasselbe eingeben, kann die Suchmaschine mit hoher Wahrscheinlichkeit das Richtige voraussagen.

Ähnlich steht es mit dem selbstfahrenden Auto. Wenn das Vehikel auf der Autobahn in der Spur fährt und rechts, links und vorne Autos mit ähnlicher Geschwindigkeit fahren, dann sind die Algorithmen bestens geschult, um mit der Situation umzugehen. Doch wenn plötzlich ein Wagen mitten auf der Spur parkiert steht, dann schlägt die Software fehl, weil solche Ereignisse eben sehr selten vorkommen. Menschen sind zurzeit noch viel besser im Umgang mit Spezialfällen. Wir sind oft in der Lage, Muster zu erkennen, die etwas signalisieren, ohne dass wir wissen, warum.

Ob unsere «Algorithmen» auf ähnlichen «neuralen Netzwerken» aufbauen wie die Algorithmen von Google und Tesla, ist nicht klar. Doch wenn ja, dann haben wir zwei zentrale Vorteile gegenüber dem Silicon Valley: Zum einen haben Menschen ihre «Software» über Millionen von Jahren trainiert und somit auf viele mögliche Spezialfälle optimiert. Zum anderen ist unser Hirn eine enorm effiziente Rechenmaschine. Die Halbleiter des Silicon Valley sind in komplexen Fällen weniger gut als wir. Wenn es jedoch um Routineaufgaben geht, wo Schnelligkeit und nicht Komplexität ausschlagend ist, dann sind die Maschinen besser. Das genau ist der Grund, weshalb man beim selbstfahrenden Auto immer auch selbst noch sehr genau aufpassen muss. Ein plötzlicher Schatten auf der Strasse bringt uns nicht aus der Ruhe. Die Software kann dabei jedoch schnell ins Schleudern geraten.

Grosse Fortschritte

Fei-Fei Li, Leiterin des Artificial Intelligence Lab an der Stanford University, ist daher ebenfalls zurückhaltend mit ihrer Prognose für die Zukunft der künstlichen Intelligenz. Man habe in den letzten Jahren tatsächlich grosse Fortschritte gemacht. Doch die Grenzen, gerade bei kritischen Applikationen, wie beim Auto, seien noch gross.

Das dürfte die Konzernchefs des Silicon Valley aber nicht davon abhalten, weiter fest aufs Pedal zu drücken – ob Tesla-CEO Elon Musk oder sein Pendant bei Google, Sundar Pichai. Beide verbinden die Zukunft ihrer Unternehmen mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Das Problem der Anleger hier ist, die Grenzen nicht aus den Augen zu verlieren.


Nota. - Das ist das Entscheidende: Der Algorithmus ermittelt Wahrscheinlichkeiten aus einer großen Daten-menge. Wenn Intelligenz, wie das Wort andeuten, etwas mit Durchblick zu tun hat, dann ist das was das selbstfahrende Auto tut... keine Intelligenz. Durchblick soll nämlich heißen: verstehen, warum und wozu. Da werden nicht Daten ausgezählt, sondern 'Daten' - Fakten, Ereignisse, Begriffe... - zueinander in ein hierar-chisches Verhältnis gesetzt. Kriterium des hierarchischen Aufbaus ist Bedeutung. 

Da ist Eines, "auf das es ankommt", alle Andern werden danach angeordnet, in welcher Beziehung sie zu dieser Hauptsache stehen. Da ist ein Unfall eine verhältnismäßig seltenes Ereignis, der Algorithmus wird ihn nicht hochschätzen. Aber dem Autofahrer ist er das, worauf es in einem unwahrscheinlichen, aber ganz besonderen Fall am meisten ankommt. Das kann man nicht aus einer Datenmenge auszählen, das ist ein Werturteil; eine Sache nicht der Menge, sondern der Qualität. Das ist Intelligenz. Das ist Geist. Das muss einer selber können, das lässt sich nicht programmieren. Es ist eine Kunst, aber künstlich geht es nicht.
JE


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