Samstag, 19. November 2016

Wer denn sonst?

aus Süddeutsche.de, 

Angela Merkel  

Die Anführerin der freien Welt - und ihr Programm 
 
Von Thorsten Denkler, Berlin 
 
Am Sonntagabend wird eine Nachricht um die Welt gehen. Manche Menschen werden dann vielleicht aufatmen. Für 19 Uhr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Pressestatement angekündigt, ohne ein spezielles Thema zu nennen. Sie wird wohl erklären, ob sie zur Bundestagswahl 2017 wieder antritt, sich für eine vierte Amtszeit bewirbt.
 
Nach der Wahl von Donald Trump in Weiße Haus ist das keine Frage mehr, die Deutschland alleine berührt oder auch nur Europa. Merkel ist zur vielleicht wichtigsten Führungspersönlichkeit der freien, liberalen Welt geworden. Timothy Garton, Kommentator der britischen Tageszeitung Guardian, schrieb kürzlich, der Begriff "Anführer der freien Welt" sei eigentlich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten vorbehalten. Er sei nach Trumps Erfolg hingegen "versucht zu sagen, dass der Anführer der freien Welt Angela Merkel ist".
 
Die New York Times beginnt eine Analyse über Merkels Rolle im Trump-Zeitalter mit den Sätzen: "Und dann war es nur noch eine. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel wurde nach der Wahl von Donald Trump zur letzten, mächtigen Verteidigerin Europas und der transatlantischen Allianz."
 
 In den Niederlanden schreibt das eher konservative NRC Handelsblad: "Mehr Trump heißt mehr Merkel." Und in einem weiteren Text: "Deutschland und Merkel entwickeln sich zu den Fahnenträgern der westlichen Werte." Selbst die linke taz aus Deutschland erkennt, Merkel werde "plötzlich zur wichtigsten Staatschefin der freien, demokratischen und liberal aufgestellten Welt".
 
Ein deutsches Bollwerk gegen all das, wofür Trump steht
 
Merkel wird diese Rolle nicht mögen. Sie wird damit auf ein Podest gehoben, auf dem sie nicht stehen möchte. Merkel glaubt an Zusammenarbeit, an Kompromisse, an Dialog. Nicht an das Modell eines einsamen Anführers, der die Geschicke der Welt lenkt.

In diese Rolle hat sie sich allerdings auch selbst gebracht. Am Tag nach der US-Wahl stellte sie sich vor die Presse und diktierte dem gewählten Präsidenten Trump Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit. Deutschland und Amerika seien durch Werte wie Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen verbunden. "Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an."


Merkels Sätze gingen um die Welt. Im liberalen Teil der USA muss es geklungen haben, als baue Merkel gerade mit schwerem Gerät ein Bollwerk gegen den Hass, gegen Frauen- und Fremdenfeindlichkeit; gegen all das, wofür Trump steht. Kein anderer europäischer Staatschef hat den Anspruch so deutlich formuliert, nicht bereit zu sein, elementare Grundwerte im Kampf gegen den Populismus von rechts zu opfern.

Das zeigt sich auch in dem Entwurf eines Leitantrages für den CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Essen. Bevor sich Merkel an diesem Sonntag erklärt, kommt in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale, der Bundesvorstand zu einer zweitägigen Klausur zusammen. Dort soll über den Entwurf beraten werden. Der Antrag wird wohl die Grundlage für das Wahlprogramm der CDU sein. Und damit der Generalplan dafür, wie die CDU unter Merkel die Wähler der rechtspopulistischen bis -extremen AfD für sich gewinnen will.

CDU will "finanzielle Spielräume" nutzen

Der bisher unveröffentlichte Entwurf, der SZ.de vorliegt, verspricht, auf vermeintlich "einfache" Lösungen zu verzichten. "Populismus, Abschottung nach außen, Protektionismus und die Spaltung der eigenen Gesellschaft sind keine Antworten auf die drängenden Probleme von Gegenwart und Zukunft." Die Versprechen einfacher Lösungen "gefährden den inneren und äußeren Frieden". Die CDU sei eine Wertepartei. Sie stehe für eine "freie, offene, solidarische und pluralistische Gesellschaft".


Ganz ausdrücklich bekennt sich die CDU zur "Achtung der Würde jedes einzelnen Menschen" und zu den daraus folgenden Grund- und Menschenrechten. Sie bejaht den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union, zum transatlantischen Bündnis, zur Nato und zum Existenzrecht Israels.
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In der Flüchtlingspolitik weicht die CDU nicht von ihrer bisherigen Linie ab. Die sei "erfolgreich" gewesen. Die Zahl der nach Deutschland Flüchtenden sei stark reduziert worden, aus vielerlei Gründen. Eine Obergrenze wird nicht erwähnt. Die CDU wolle sich jetzt stattdessen "verstärkt der Beschleunigung von Verfahren und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber" zuwenden. 

Merkel setzt mit dem Entwurf darauf, dass Standhaftigkeit belohnt wird. Dass sie so bessere Chancen im Wahlkampf hat als mit einer Kehrtwende. Bleibt noch die Frage, ob sie selbst diese Standhaftigkeit hat. Oder ob sie am Sonntag bei ihrem Auftritt den Platz für einen anderen Kanzlerkandidaten freimacht. Letzteres ist unwahrscheinlich und wäre sehr überraschend. Nach einer Umfrage für das Magazin Stern wünschen sich 59 Prozent der Deutschen, dass Merkel wieder antritt. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Samstag auf einer Parteiveranstaltung in Leipzig: "Wir erwarten, dass Merkel am Sonntag das sagt, was jeder weiß: Dass sie die CDU in den nächsten Wahlkampf führt." Da kann sie doch eigentlich nicht Nein sagen, oder?


Nota. - Das muss man sich erstmal klarmachen: In der Flüchtlingskrise ging es darum, wer Europa zusammenhält. Es kommt nur einer in Frage, aber will der auch, was er müsste?

Das ist ein schweres Paket. Es ist ja noch nicht wieder vergessen: Deutschland hat einen Weltkrieg verloren, den es selbst begonnen hat.

Jetzt weht in Amerika ein isolationistisches Lüftchen, und die Rolle der Führungsmacht der westlichen Welt ist vakant. Und wer außer uns käme da in 'Frage?
JE


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